HEXEN* in Vergangenheit + Gegenwart?

AUS- + RÜCKBLICK: DAS THEMENJAHR ZUM GEDENKEN AN DIE OPFER DER HEXENVERFOLGUNG

Warum widmet sich Marburg dem Thema Hexerei?

Unter dem Titel Andersartig: Hexen. Glaube. Verfolgung widmet sich die Marburger Kulturszene in einem Themenjahr (2020 bis Frühling 2021) einem dunklen Kapitel der Geschichte der Universitätsstadt und dessen Rezeption: Die Verfolgung von Hexerei in Marburg soll thematisiert und erforscht werden. Ihre Opfer sollen benennbar, ihre Geschichte bekannt und dahinterliegende Ausgrenzungsprozesse reflektiert werden.

GEDENKEN GEGEN MECHANISMEN DER AUSGRENZUNG

Wenngleich in aktuellen Filmen und Büchern facettenreiche Interpretationen von Hexerei vorgeführt werden, so ist über die tatsächlichen Opfer der Hexenverfolgung meist wenig bekannt. Von ihren Lebensumständen wissen wir nur aus den Beschuldigungen der Zeug*innen oder den Aufzeichnungen der erzwungenen Geständnisse. Die Opfer der Hexenverfolgung standen nicht selten am Rand der Gesellschaft, oder sie wurden durch die Anschuldigungen an diesen gedrängt: Sie wurden andersartig gemacht.

Was bedeutet ANDERS[nicht]ARTIG?

Die Frage nach Andersartigkeit beschäftigt unser Team auch als Kulturwissenschaftlerinnen und Historikerinnen: Was galt und gilt als „normal“ und was nicht? Wer bestimmt dies? Was bedeutet es, etwas oder jemanden als „andersartig“ zu bezeichnen?

Andersartigkeit kann vieles zwischen bewusster Rebellion oder ungewollter sozialer Ausgrenzung umfassen. Da sie anders-nicht-artig ist, widerspricht sie mitunter dem Gewohnten. Sie findet meist nur am Rand Erwähnung, wird aus den Akten getilgt, fragmentarisch überliefert oder wird nur durch Fremdzuschreibungen erfahrbar. So wie wir über die Opfer der Hexenverfolgung meist nur aus den Protokollen ihrer Folter wissen.

Die Geschichte der Hexenverfolgung in Marburg ist vor dem Themenjahr selten beleuchtet worden. Außerhalb der historischen Forschung sind die inzwischen aufgedeckten Ereignisse kaum bekannt gewesen. Dies stellt auch Fragen danach, an was und an wen wir uns erinnern und wie wir Geschichte schreiben. Im Themenjahr 2020 wurde begonnen, diese Geschichte öffentlich bekannt zu machen. Unser Blog möchte dem Rechnung tragen, der Name und die Rubrik ANDERS[nicht]ARTIG verweist darauf. Auch über das Themenjahr hinaus erforschen wir die Geschichte des Hexen*glaubens weiter.

Was geschah während der Verfolgungen von Hexerei in Marburg?

Im 16. und 17. Jahrhundert wurden zahlreiche Personen in Marburg und der Umgebung der Hexerei angeklagt: Häufig wurde ihnen die Zusammenkunft mit dem Teufel, Schadzauber oder Mord an Nutztieren oder Menschen angelastet. Viele der beschuldigten Personen wurden im sogenannten Hexenturm am Landgrafenschloss während teilweise jahrelanger Prozesse gefangen gehalten und gefoltert. Die meisten Beschuldigten waren Frauen, jedoch auch einige Männer und sogar Kinder und Tiere wurden angeklagt. Viele von ihnen wurden schließlich für schuldig befunden und an der Richtstätte am Rabenstein hingerichtet oder verbrannt. Einige Namen der über 20 getöteten Personen, die Anklagepunkte und Zeug*innen-Aussagen, sind aus historischen Akten bekannt. Diese Akten wurden im Kontext des Themenjahres neu erforscht, um die Geschichte der Opfer aufzuzeigen. Der Blog ANDERS[nicht]ARTIG möchte diese Forschung weiter sichtbar machen und an aktuelle Diskurse anschließen. Im Beitrag OPFER DER HEXENVERFOLGUNG können Sie nachlesen, welche Personen in Marburg besagt (von Zeug*innen beschuldigt), befragt oder peinlich befragt (im Rahmen des Prozesses gefoltert), verurteilt oder absolutia ab instantia (also Entbindung aus dem Verfahren) entlassen wurden.

Was ist heute noch von der Hexenverfolgung sichtbar?

Was erinnert uns an sie?

Auch heute verweist noch einiges auf die historischen Ereignisse, wenn man sich auf Spurensuche begibt: Es lassen sich beispielsweise in den Zellen des sog. Hexenturms Inschriften der Insassen entdecken, wie Einblicke in die Zellen zeigen. Mehrere Gefangene wurden während ihrer Prozesse in den engen Zellen festgehalten und wiederkehrend befragt oder gefoltert. Was sie dort in die Steinwände einritzten, spricht nicht selten von Ihrem Glauben oder der Anrufung an Heilige, wie es in den Beiträgen über die Spuren in den Zellen aufgezeigt wird.

In den Beitragsserien der ORTE DER HEXENVERFOLGUNG suchen wir danach, was heute noch in der Stadt Marburg von der Geschichte der Hexen*verfolgung und ihrer Opfer zeugt. In der Serie VERLAUF EINES HEXENPROZESSES schauen wir zurück und rekonstruieren den Prozessablauf anhand von tatsächlichen Fällen aus der Region.

HEXEREIVORWÜRFE IN DER FRÜHEN NEUZEIT

Was hat man unter Hexerei verstanden?

Was wurde den Personen vorgeworfen?

Wie entstanden die Anschuldigungen?

Neue Forschungen decken weiter auf, welche Gründe zur Anklage vorlagen, wie die Prozesse abliefen und wer die Opfer waren. Die Motivationen, den Nachbarn oder die Bekannten der Hexerei anzuklagen, waren vielfältig! Gerüchte oder persönlicher Streit waren hier ebenso häufig Grund wie die Suche nach Schuldigen für Ernteausfälle und Krankheiten. Aber auch der Verlauf eines Prozesses selbst sorgte dafür, dass weitere Personen beschuldigt wurden. Unsere Beitragsserie FRAGMENTE thematisiert historische Fälle aus Hessen. Hier greifen wir Zitate aus den Protokollen der Prozesse auf und beleuchten die historischen Kontexte: Zum Beispiel thematisieren wir die Anklage und den Prozess des 15-jährigen Heinrich Sanger wegen Liebeszauber und Teufelsbuhlschaft oder die Anschuldigung des Kindsmords und des Schadzaubers der hochbetagten Catharina Staudinger. Der Fall der Wirwettzen kann als erste Verbrennung im Zusammenhang mit Zauberei gesehen werden.

Auf unserem Blog greifen wir aktuelle Forschung zur Hexen*verfolgung im 16. und 17. Jahrhundert im mitteleuropäischen Raum auf und fassen sie anhand von Beispielen zusammen. Diese Beispiele zeigen auch auf, dass die Verfolgung von Hexen* nicht im sogenannten ‚dunklen Mittelalter‘ sondern in der Frühen Neuzeit, gleichzeitig mit vielen wissenschaftlichen Entdeckungen und neuen Perspektiven auf die Welt, stattfand. Der Beitrag = ZEITIG | ZEIT = zeigt schlaglichtartig auf, was außerhalb des Hexenturms passierte, als die Angeklagten dort gefangen gehalten wurden. Die ersten Prozesse begannen zeitgleich mit dem Bau des Rathauses (um 1517) und die letzten Prozesse endeten mit der Entwicklung des Prinzips der Kolben-Dampfmaschine durch Denis Papin während seiner Zeit als Professor an der Philipps-Universität Marburg (um 1688). Dazwischen liegen mehr als 150 Jahre, in denen über 20 Menschen der Hexerei angeklagt wurden.

HEXEN*BILDER UND IHRE REZEPTION

Was stellte und stellt man sich unter Hexe* vor?

Hexen* gibt es nicht bloß im Märchen oder in der Vergangenheit. Auch wurden Hexen* und Praktiken der Zauberei nicht immer schlecht angesehen. Der Glaube an Hexerei sowie Schutz-und Schadzauber waren und sind verflochten mit Traditionen und Formen des Glaubens. Praktiken wie Liebeszauber oder Glücksbringer waren Teil des Alltags. Manches Wissen um die Wirkung von Kräutern oder Zuschreibungen an Tiere, wie Fledermäuse, kennen wir noch heute. Die Hexen*bilder wandelten sich mit der Kultur und im Lauf der Geschichte dabei ganz erheblich. Ihre Spuren sind jedoch noch in heutigen Vorstellungen von Hexen* zu entdecken.

In frühneuzeitlichen Publikationen, wie dem sog. Hexenhammer, werden Vorstellungen formuliert, welche die Hexen*bilder nachhaltig prägten und so mit zu den Ängsten und Verfolgungen in der Frühen Neuzeit führten. In den Beiträgen über den Autor des Malleus Maleficarum, Heinrich Kramer, und die Inhalte seiner Schrift wird beleuchtet, dass auch Frauenfeindlichkeit eine zentrale Rolle in der Konstruktion dieser Hexen*bilder spielte. Ebenso zentral ist die Rolle des Buchdrucks und damit der Verbreitung von Texten und Bildern, in denen Vorstellungen von Hexen* popularisiert wurden.

Aus Märchen wie ‚Hänsel und Gretel‘ kennen wir Vorstellungen der fleischfressenden Hexe, deren historische Spuren bis zur ‚Striga‘ aus dem Mittelalter zurückverfolgt werden können. Doch dies bleibt nicht die einzige Vorstellung von Hexen*.
So wurde beispielsweise das Stereotyp von Hexen als ‚weisen Frauen‘ ebenfalls maßgeblich von Jacob Grimm geprägt – in seinen Schriften, die nicht als Märchen bekannt wurden, sondern als Teil seiner ‚Mythologie‘ von 1835. Dies ist im Beitrag „…der weisen frauen in hexen…“ nachzulesen.

Mitte des 19. Jahrhunderts malt uns auch der Künstler Wilhelm Bauer sein ganz eigenes Bild der Hexenverfolgung vor Augen. Die Szene seines Historiengemäldes spielt wahrscheinlich nicht nur in Marburg, sie stellt auch Fragen nach Schuld, Schönheit und Hexen*bildern, die wir im Beitrag BILDER DER HEXEN*VERFOLGUNG aufzeigen.

Wie sich Hexen* vorgestellt werden und was ihnen zugeschrieben wird, hängt immer mit dem zeithistorischen Kontext zusammen. So kommt es, dass ganz unterschiedliche Vorstellungen am Bild der Hexe* aufeinandertreffen können. In unseren Beiträgen widmen wir uns diesen Zuschreibungen und kontextualisieren sie. Die ‚fleischfressende‘ Hexe* sowie die ‚weise‘ oder die ‚schöne‘ Frau sind nur einige Beispiele von vielen unterschiedlichen Hexen*bildern. In der zeitgenössischen Populärkultur werden facettenreiche Interpretationen von Hexerei vorgeführt. Sie ist international Thema in Kultur, Literatur, Kunst und auch in religiöser Praxis.

HEXEN* IN GESCHICHTE UND GEGENWART

Was war und ist Hexerei?

Ist sie ein historisches Phänomen oder gibt es sie noch heute?

Sehen sich Menschen als Hexen oder Hexer oder wie wird es ihnen zugeschrieben?

Bis heute werden Menschen aufgrund von Hexerei-Anschuldigungen bedroht. Hexe* kann in unterschiedlichen Zeiten, Regionen und Kontexten ganz Unterschiedliches bezeichnen. Einige dieser Facetten beleuchten wir in unseren Beiträgen. Hexe* zu sein ist für viele Menschen mittlerweile aber auch eine positive, religiöse und teilweise auch feministische Selbstbezeichnung. Lesen Sie mehr über die unterschiedlichen Definitionen von Hexen* im Beitrag: WAS SIND DENN NUN DIESE HEXEN*?.

Zuschreibungen und Selbstbezeichnungen von Hexen* gab es nicht nur in der Vergangenheit. Zeitgenössische Hexen* vernetzen sich heute neu, auch im Internet, und sie feiern eigene Feste. Walpurgisnacht, Winter- oder Sommersonnenwende sind nur einige Beispiele für viele Anlässe, die im Kontext von zeitgenössischen Hexen* gefeiert werden und diesen widmen wir die Beitragsserie über JAHRESKREISFESTE. Es gibt unterschiedliche Feste, viele zeitgenössische Hexen* und moderne Wicca orientieren sich an diesen acht Festen: Imbolc am 02. Februar, Beltane am 30. April, Lughnasadh am 01. August und Samhain am 31. Oktober. Dazu kommen die beiden Tag- und Nachtgleichen Ostara am 21. März und Mabon am 21. September sowie die Sommer- und die Wintersonnenwende Litha am 21. Juni und Yule am 21. Dezember.

Wir beleuchten mit ANDERS[nicht]ARTIG die Geschichte des Hexenglaubens und der Hexenverfolgung und erforschen deren Spuren auch über Marburg hinaus und bis in die Gegenwart. Die Prozesse der Beschuldigung und Zuschreibung zeigen Themen um soziale Ausgrenzung und eine Bandbreite von Aneignung, Abgrenzung und Selbstermächtigung auf.

Wir stellen dabei in unseren Beiträgen immer wieder Fragen danach, wie wir zeitgemäß gedenken können und was heute noch in der Stadt von ihrer Geschichte zeugt.

Gleichzeitig zeigt die Vielfalt an Historischem und Gegenwärtigem um die Hexe* auf, dass diese Geschichte noch nicht beendet ist. Sie ist noch nicht erschöpfend geschrieben. Und sie geht als aktuelles Thema in Glauben, Kunst und Kultur weiter.

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