„Die Mutter der Hexe ist Magie, aber ihr Vater ist Angst. Sie entstand aus Verachtung für das Weibliche, Hass auf den weiblichen Körper, wie er erschafft, wie er altert, begehrt und begehrt wird. Sie zu lieben heißt, diese Tragödie zu akzeptieren und ihr Trauma in Triumph zu verwandeln.“
Pam Grossman, Waking the Witch
Hexen und Feminismus – das geht schon länger zusammen. Die Frauen*, die in den 1970ern für ihre Rechte auf Unversehrheit demonstriert haben, riefen 1977 in Italien: „Zittert, zittert, die Hexen sind wieder da!“ Sie protestierten gegen Gewalt und den Abtreibungsparagraphen. Und sie benutzten das italienische Wort für Hexe, strega, vom Lateinischen striga für Nachteule und kinderstehlender weiblicher Dämon… Ab 1977/78 fanden auch in Deutschland Demonstrationen von Frauen*, teilweise als Hexen verkleidet, zur Walpurgisnacht statt, berichtete die Historikerin Heidi Staschen in einem Interview-Band mit Hexen in Deutschland von Gisela Graichen aus dem Jahr 1986.
„Sie sind wieder da!“ hieß es damals in der Einleitung.
DIE HEXE IST PERSÖNLICH UND POLITISCH
Seit den 1970ern ist die Hexe weit mehr als ein Teil der Wiederaneignung von Witchcraft oder Hexentum als religiöse Praxis, die in Gruppen aber auch allein von ‚freifliegenden‘ Hexen ausgeübt wird – und mittlerweile in den vielfältigsten Formen gelebt und praktiziert wird.
Die Hexe war und ist auch eine symbolische Figur für die Selbstermächtigung von Frauen*, für politische Forderungen nach Selbstbestimmung über die eigenen Körper, reproduktive Fähigkeiten und letztlich Freiheit. Warum ausgerechnet die Hexe? Pam Grossman, selbstbekennende Hexe, sehr erfolgreiche Podcasterin und bekannte Autorin der US-amerikanischen Szene, schreibt dazu:
„Die Hexe ist verwandt mit Göttinnen, Feen, Teufeln und Monstern, und doch ist sie eine ganz eigene Figur wegen eines wesentlichen Unterschieds: Für gewöhnlich ist sie menschlich. Und deshalb können wir uns nicht nur mit ihr identifizieren, wir können zu ihr werden.“
Pam Grossman, Waking the Witch…, S. 356
Die Hexe ist deswegen so besonders, weil sie eine Grenzgängerin ist, menschlich und doch irgendwie mehr als das.
Die Psychologin, Aktivistin und Ökofeministin Miriam Simos schrieb über den Hexenglauben als die ‚Alte Religion‘ der Großen Göttin. Unter dem Namen Starhawk ist sie eine der wichtigsten Vertreterinnen der Reclaiming Tradition, die eine der feministisch ausgerichteten Formen zeitgenössischen Hexentums ist.
Bereits 1979 verknüpft sie die Hexe mit einer Göttinreligion und damit einem gemeinschaftlichen Aspekt, der über die individuelle Identifikation mit der Hexe hinaus geht:
„Heute erlebt der Hexenglaube mehr als eine Renaissance. Er wird nicht nur erneuert, sondern wiedergeboren, neu erschaffen. (…) Seit dem Niedergang der Religion der Göttin fehlen den Frauen religiöse Vorbilder und spirituelle Systeme, die weibliche Bedürfnisse und Erfahrungen ansprechen.“
Starhawk, Der Hexenkult…, S. 21
Auch wenn Starhawk hier über Frauen spricht, richtet sich diese Form von Hexenglauben an alle – an dieser Stelle gibt es aber seit einiger Zeit auch Konflikte um die Frage, wer damit ausgeschlossen wird. Ihre Aussagen sind in jedem Fall immer auch gesamtgesellschaftlich-politisch gemeint und thematisieren kritisch die Verbindung zwischen religiöser und weltlicher Macht:
„Der Symbolismus der Göttin ist kein paralleles Gefüge zum Symbolismus des Gott Vaters. Die Göttin beherrscht nicht die Welt. Sie ist die Welt. Da sie in jedem von uns lebendig ist, kann jeder Mensch sie in seinem Inneren erkennen. Sie rechtfertigt nicht die Herrschaft des einen Geschlechtes durch das andere und verleiht den Herrschern zeitlicher Hierarchien keine Autorität.“
Starhawk, Der Hexenkult…, S. 22f.

Der seit ein paar Jahren verstärkt im öffentlichen Raum und auf Demonstrationen im Zusammenhang mit beispielsweise der #MeToo-Bewegung anzutreffende Slogan: „We are the witches you were not able to burn“ stellt eine historische Verbindung zu den historischen Hexenverfolgungen her und holt die Hexe als politische Provokation zurück.
WECKEN WIR DIE HEXE AUF…
Pam Grossman schreibt 40 Jahre nach Starhawk’s „Der Hexenkult…“: „Die Hexe erwacht.“ (S. 21) Vielleicht muss die Hexe also immer wieder erneut aufgeweckt werden, wenn die Zeiten es zu erfordern scheinen? Die Hexe entfaltet als persönliche Identifikation, politische Aussage und widerständige Figur und religiöse Praxis offenbar eine besondere Faszination und Kraft.
Wie wichtig Hexen in den Frauenbewegungen waren und sind, was daran feministisch ist, aber auch, welche Kontroversen es mittlerweile um Fragen von Repräsentation, Inklusion und Ausschlüssen gibt – dazu gibt es noch viel mehr zu erzählen!
Nachlesen: Pam Grossman (2019), Waking the Witch. Die Kraft der Neuen Weiblichkeit, Berlin.
Starhawk (1992), Der Hexenkult als Ur-Religion der Großen Göttin, Freiburg (engl. Orig. 1979).
Gisela Graichen (1986), Die neuen Hexen. Gespräche mit Hexen, Hamburg.