Das Verfahren einer der Hexerei angeklagten Person folgt verschiedenen Schritten und konnte verschieden enden – mit der Hinrichtung, dem Freispruch, Landesverweis oder dem Urteil ‚absolutia ab instantia‘, das heißt einer Art vorläufigen Freispruch, welcher jederzeit widerrufen werden konnte, sollten sich neue Verdachtsmomente ergeben. Welche Schritte beinhaltet das Verfahren in Marburg? Wie liefen diese ab? Was können wir darüber aus den Quellen erfahren?
ZWEI BLICKWINKEL | ZWEI BEITRAGSSERIEN
Wie der Weg von der Anklage bis zur Urteilssprechung und -vollziehung aussah, beschreiben zwei korrespondierende Beitrags-Serien im Blog ANDERS[nicht]ARTIG. Diese Serien zeigen den Weg aus zwei Blickwinkeln und zwei Richtungen: Wir folgen einerseits den Wegen historischer Personen in dieser Reihe und suchen andererseits in der Beitragsserie ORTE DER HEXENVERFOLGUNG danach, was an diesen Orten heute noch auf die Vergangenheit verweist.
In dieser Serie über den VERLAUF EINES HEXENPROZESSES versuchen wir, den Weg historischer Personen nachzuzeichnen: Von der Beschuldigung über den Prozess bis zu dessen Folgen. Diese Serie zeigt, was den der Hexerei angeklagten Personen damals passierte.
STATIONEN DES HEXENPROZESSES
Doch wie verlief das Hexereiverfahren in Marburg? Die Marburger Juristen orientierten sich bei dem Ablauf des Verfahrens an der Constitutio Criminalis Carolina (gen. Carolina), welche vorgab, wie bei Verfahren krimineller Delikte vorgegangen wurde – so auch bei dem Delikt der Hexerei. Die Constitutio Criminalis Carolina, auch Peinliche Halsgerichtsordnung genannt, wurde 1532 von Kaiser Karl V. in der Landgrafschaft Hessen erlassen. Mit den weiteren rechtlichen Aspekten des Verfahrens werden wir uns sicherlich noch in der Zukunft genauer befassen.

In den nächsten Wochen werden wir in dieser Reihe die verschiedenen Schritte nachvollziehen, nach denen ein Hexereiverfahren in der Regel abgelaufen ist. Natürlich hat es in Fällen Abweichungen gegeben – vielleicht wurde ein Schritt übersprungen oder ein Verfahren frühzeitig eingestellt – jedoch sollen hier alle möglichen Schritte abgedeckt werden und am Beispiel historischer Personen dargestellt werden: von der Anschuldigung über die Haft, zum Verhör und der Rechtsprechung sowie dem Vollzug des Urteils.
DIE ANSCHULDIGUNG
Den Beginn des Verfahrens stellt die Anschuldigung dar. Dabei gab es zwei Möglichkeiten als Hexer oder Hexerin beschuldigt zu werden: Zum einen gab es die Anzeige aus der Bevölkerung – die sogenannte Denunziation. Oder eine ‚andere Hexe‘, gegen die bereits ein Verfahren lief, beschuldigte jemanden – die sogenannte Besagung. Die Beschuldigung durch eine vermeintliche Hexe kam in der Regel im Laufe der peinlichen Befragung (Folter) zustande, da gezielt aufgefordert wurde, weitere Personen zu besagen.
Kam die Anschuldigung aus der Bevölkerung, so handelte es sich in der Regel um einen vermeintlichen Schadenszauber. Kam die Anschuldigung jedoch von einer selbst angeklagten Hexe, so handelte es sich meist um die Anschuldigung des Hexentanzes und der Teufelsbuhlschaft.
So wurde 1654 die einundfünfzigjährige Elisabeth George aus Kirchhain von Catharina Hestin, ebenfalls aus Kirchhain, beschuldigt, eine Hexe zu sein. Gegen Catharina Hestin lief bereits ein Verfahren wegen Hexerei (der Ausgang ist nicht bekannt). Elisabeth George wurde beschuldigt, insgesamt 20 Pferde getötet und eine Magd (oder in anderen Quellen: einen Knecht) verhext zu haben. Des Weiteren solle sie Gott abgeschworen haben.

Ein weiteres Beispiel für die Besagung ist der Fall von Catharina Lips aus Betziesdorf, die 1671 von Catharina Plock besagt wurde: „Die Zachersche, Dietrichs fraw, von Betzigesdorff könne auch Zaubern u. habe sich mit dem teuffel vermengt, sey auch mit ufm tantz geweßen, u. wehre auch ein Ufwärtern.“ Catharina Lips war die Frau von Dietrich Lips, dem Schulmeister von Betziesdorf. Sie war die Großmutter von Anne Schnabel, welche im Jahre 1672 – kurz nachdem ihre Großmutter aus der Haft entlassen wurde – auch der Hexerei angeklagt wurde und die erneut ihre Großmutter besagte, so dass diese nochmals angeklagt wurde.
Doch woher kam diese Bereitschaft, Menschen, Nachbarn, vielleicht sogar Freunde der Hexerei zu beschuldigen? Zum einem war die peinliche Befragung ein überzeugendes Mittel, um Informationen zu erhalten, aber auch ohne Folter gaben Beschuldigte Namen zu Protokoll – sie waren tatsächlich davon überzeugt, dass diese Personen mit der Hexerei in Verbindung standen. Selbst die der Hexerei beschuldigten Personen waren, nach Meinung vieler Historiker*innen, von der Existenz der Hexerei an sich überzeugt, nur waren sie aus ihrer eigenen Sicht irrtümlicherweise angeklagt. Natürlich gab es aber auch Beschuldigungen aufgrund von Nachbarschaftsstreitereien oder größerer Krisensituation wie einer Missernte – alles Unnatürliche oder Schädliche wurde Hexen oder Hexern zur Last gelegt.
Lag eine Anschuldigung vor, war der Schultheiß verpflichtet eine Voruntersuchung aufzunehmen. Die Rolle der Schultheißen in den Hexenprozessen ist sehr interessant. So kamen zum Beispiel die Schultheißen von Kirchhain nicht nur ihrer offiziellen Rolle, Anschuldigungen nachzugehen mit viel Motivation nach, sondern beteiligten sich auch sehr aktiv an der Beschuldigung selbst oder schürten Gerüchte, die zu Anschuldigungen führten. Warum die Kirchhainer Schultheißen ihren Aufgaben so ‚gewissenhaft‘ nachgingen bleibt noch zu ergründen…
DIE VORUNTERSUCHUNG

Nachdem eine Beschuldigung vorgebracht wurde, fand die erste Zeug*innenbefragung durch die örtlichen Amtmänner oder Schultheißen statt. Hier ging es vor allem darum, sich über den Ruf der beschuldigten Person zu informieren. Zeug*innen konnten Verdachtsmomente zu Protokoll geben und meist wurde auch der Pfarrer befragt, da dieser seine Gemeindemitglieder gut kannte. So wurde zum Beispiel im Fall von Elisabeth George der örtliche Pfarrer bezüglich ihres Rufes befragt. Dieser gab zu Protokoll, dass Elisabeth und ihre Mutter der Kirche und dem Abendmahl ferngeblieben seien. Auch ihre Familienmitglieder sprachen sich gegen sie aus. Für Catharina Lips sah es in der Voruntersuchung auch nicht gut aus, da sie mehrmals besagt wurde.
An diesem Punkt konnte es oft durchaus zur (vorläufigen) Einstellung des Verfahrens kommen, wenn die geladenen Zeugen oder der Pfarrer sich positiv über die verdächtige Person äußerten. Jedoch einmal verdächtigt wurde man oft argwöhnisch betrachtet und genau von den Nachbarn als auch öffentlichen Behörden im Auge behalten. Meistens war die Einstellung des Verfahrens jedoch nicht der Fall und dieses wurde fortgesetzt. Diese ersten Befragungen und Untersuchungen wurden in einem Bericht festgehalten und der Regierung in Marburg vorgelegt – die Interessenvertretung des Landesherren in Oberhessen. Aufgrund dieses Berichtes wurde entschieden, ob das Verfahren fortgeführt wurde oder nicht. Wurde das Verfahren fortgesetzt, kamen die Beschuldigten in Haft.
Die Anschuldigung und Voruntersuchung sind somit keinem festen Ort zugeordnet, sondern fanden an den jeweiligen Orten statt, an denen auch die Anschuldigung vorgebracht wurde. Im Falle Elisabeth Georges zum Beispiel in Kirchhain. In einem nächsten Beitrag werden wir uns der Haft zuwenden.
Nachlesen: Ronald Füssel (2020), Gefoltert. Gestanden. Zu Marburg verbrannt. Die Marburger Hexenprozesse, Marburg, hier: 49-52.
Wolfgang Behringer (Hg.) (2006), Hexen und Hexenprozesse in Deutschland, München: Deutscher Taschenbuchverlag.
Christian Roos (2008), Hexenverfolgung und Hexenprozesse im alten Hessen, Marburg: Tectum Verlag.