Zu den Verbindungen zwischen diesen drei Personengruppen ließe sich einiges sagen – dieser Beitrag liefert schon manchen Hinweis dazu.
„Von Hexen und Hebammen“ lautet der Titel einer Führung, die Marita Metz-Becker auch in diesem Sommer in Marburg anbietet. Die außerplanmäßige Professorin am Institut Europäische Ethnologie / Kulturwissenschaften der Philipps-Universität Marburg ist Expertin für die Stadtgeschichte und besonders die Frauengeschichte Marburgs. In ihrer Führung Mitte Juli nahm sie uns mit ins Innere des Hexenturms sowie zu vielen bedeutsamen Orten und Objekten in und um die Elisabethkirche.
IM HEXENTURM

Die Führung beginnt vor dem Hexenturm am Landgrafenschloss, der diesen Namen aufgrund der dort Inhaftierten bekam – er war eigentlich Teil der Befestigungsanlage. Marita Metz-Becker gibt uns einen Einblick in die Geschehnisse der historischen Hexenverfolgung in Marburg bevor sie uns die untere Tür zu den Zellen öffnet. Hier macht sich bemerkbar, dass es die Zeit von Corona ist: Betreten mit Mundschutz! Wir gehen einzeln in die Zellen. Das Licht wird kurz ausgeschaltet, und wir bekommen einen Eindruck von der Dunkelheit und Abgeschiedenheit, in der sich die Inhaftierten aufgehalten haben. Mir fallen die gusseisernen Platten auf, und Marita Metz-Becker bestätigt, dass es sich um Öfen handelt: Sterben sollten die potentiellen Hexen nicht, weder während der Folter noch an ihren Folgen, auch nicht an den Haftbedingungen. Denn ihr Tod sollte öffentlichkeitswirksam und nach entsprechender Verurteilung erfolgen. In welchem Zustand die Menschen und eben meist Frauen dort einsaßen, wenn sie von den Verhören inklusive Folter aus dem Schloss wieder in den Turm gebracht wurden, teilweise über viele Monate dort isoliert voneinander eingeschlossen – ich kann und will es mir nicht vorstellen.

Draußen blühen noch die extra dort angepflanzten Ringelblumen in strahlendem Orange…
Marita Metz-Becker erspart uns Details in Rücksichtnahme auf ein anwesendes Kind, aber auch ich bin froh darüber. Wir haben als Team in unseren Recherchen genug transkribierte Protokolle gelesen, die im Detail schwer auszuhalten sind. Der Wert des Rechts auf körperliche Unversehrtheit erscheint angesichts der Praxis der ‚peinlichen Verhöre‘ so zerbrechlich.
DIE HL. ELISABETH UND KONRAD VON MARBURG ALS VERFOLGER VON KETZER*INNEN
Wir gehen hinunter zur Elisabethkirche, die erste rein gotische Kirche Deutschlands, ab 1235 zu Ehren der Hl. Elisabeth erbaut. Neben vielen spannenden Einsichten in das Leben und die Bedeutung der Hl. Elisabeth ist eine indirekte Verbindung zu den eigentlich viel späteren Hexenverfolgungen der Beichtvater und Vormund von Elisabeth: Konrad von Marburg war ein berüchtigter Verfolger von Ketzern. Durch ein Dekret des Papstes konnte er als Inquisitor Ketzer verurteilen und auch auf dem Scheiterhaufen verbrennen lassen. Das Verbrechen der Ketzerei bzw. Häresie, also von der offiziellen Kirchenlehre abweichender Glaube oder Meinung, und ihre Verfolgung ist einer der entscheidenden Vorläufer, aus denen das komplexe Delikt der Hexerei der frühen Neuzeit entwickelt wurde. Elisabeth starb früh mit Anfang 20. Mit ihrem Beichtvater verband sie ein viel besprochenes ambivalentes und auch durch Züchtigung geprägtes Verhältnis. Vier Jahre nach ihrem Tod erfolgte ihre Heiligsprechung, 1235, dem Jahr des Baubeginns der Elisabethkirche.
Boden Elisabethkirche Markierung des ehemaligen Grabes der Hl. Elisabeth
HEBAMMEN UND DAS MARBURGER GEBÄRHAUS
Zum Schluss der zweistündigen Führung erhalten wir spannende Einblicke in die Entwicklung der Gebärhäuser und die Situation rund um Geburtsmedizin, Hebammen und die Aneignung der Geburtshilfe durch (männliche) Ärzte in der Accouchieranstalt neben der Elisabethkirche, die sich dort von 1823 bis 1866 befand. Gegründet wurde das Gebärhaus 1792, und zu diesem Zeitpunkt war die Hexenverfolgung bereits (knapp) Vergangenheit. Allerdings war auch dies ein Ort, in dem Frauen nur allzu oft ihr Leben verloren, z.B. bei der Entwicklung des Kaiserschnitts. Die Frauen, die dort ein Kind zur Welt brachten, hatten aufgrund ihrer gesellschaftlichen Positionen kaum eine andere Wahl. Auch diese Körper hatten kein Recht auf Unversehrtheit.
Was ist aber mit den Vermutungen, dass Hexen und Hebammen in besonderer Weise verknüpft waren? Dazu wird es in Kürze noch ein paar Überlegungen geben.
Nachgehen: Mehr über all diese spannenden Begebenheit lässt sich in den zahlreichen Publikationen oder eben auch den weiteren Führungen von Marita Metz-Becker erfahren: Termine finden sich in dem Programm zum Themenjahr sowie zur Sommerstadt Marburg 2020.