FINDEN SIE DIE HEXE IM GEMÄLDE VON WILHELM BAUER?
(1850, Öl/Lwd. 139 x 175 cm, Erworben vom Kunstmuseum Marburg im Jahr 1954).
© Bildarchiv Foto Marburg / Horst Fenchel / Christian Stein. www.fotomarburg.de. Das Bild kann nach dem Themenjahr 2020-21 digital im Bildindex der Kunst und Architektur (hier) angeschaut werden.
Der Künstler Wilhelm Bauer (Marburg 1815 – unbekanntes Todesdatum in Russland) malt 1850 sein Bild der Hexenverfolgung. Damit malt er auch, wie sich im 19. Jahrhundert an die Hexenverfolgung erinnert wird, aufgrund derer mehr als 150 Jahre zuvor auch in Marburg zahlreiche Personen getötet wurden. Wie erinnert sich der Marburger an diese Zeit? Wie stellt er sie seinen Zeitgenoss*innen in Öl gebannt vor?
Die Kunstvermittlern Michaela Haas berichtete in einer Kunstpause des Marburger Kunstmuseums von Wilhelm Bauers dramatischer Szene einer mehr oder minder fiktiven Hexenverfolgung auf dem Weg vom Gericht zum Scheiterhaufen. Hier berichten wir über ihre Erklärung und unsere Fragen nach (bildschönen) Hexen und (be)schuldigen(den) Mönchen.
GENAUER BETRACHTET: BLICKE + DETAILS
Fünf Personen stehen hier im Zentrum des großformatigen Ölgemäldes und der zwei Menschengruppen: Während ein Dominikaner-Mönch auf die Verurteilten und den bereits qualmenden Haufen von Holzscheiten zeigt, fällt eine junge Frau vor die Füße eines Mannes in ritterlicher Kleidung und Pose. Ein weiterer Mönch entreißt ihr den Mantel, ihr hellgelbes Kleid wird sichtbar. Sie hat langes blondes Haar, das von einem Diadem geschmückt ist.
Stellt sich Bauer im Jahr 1850 so eine Hexe vor? Sie wirkt nicht, als hätte sie die mitunter jahrelangen Prozesse, die soziale Erniedrigung, Gefangenschaft im Hexenturm und das peinliche Verhör hinter sich, von dem wir heute wissen.
Der Ritter streckt sein Schwert nach oben und blickt den Mönch an: Wird er ihm folgen und ergreift die junge Frau – die sich um seine Hüfte windet – um sie auf den Scheiterhaufen zu bringen? Oder wendet er sich ihr schützend zu, legt seinen Arm um sie und erhebt das Schwert gegen den Mönch?
DIE SZENE: ORT + GESCHICHTE
Die Blicke und Bewegungsrichtungen leiten uns durch das Bild und erzählen seine Geschichte. Hinter dem Ritter stehen viele weitere Verurteilte, darunter eine gebeugte, dunkelhaarige junge Frau. Im Schatten kniend ähnelt ihre Haltung fast einer Andacht. Die Blicke der alten, verurteilten Männer gehen gen Himmel und Boden; hinter dem eifrigen Mönch ist das hölzerne Kreuz verhängt; ein schnaubendes Pferd am linken Bildrand ist rätselhaft beleuchtet. Der findige Historienmaler scheint hier in jedem Detail einen Verweis zu verstecken, nur manche können wir herausfinden, andere müssen wir interpretieren. Michaela Haas ging in der Kunstpause auf die historischen Details ein, die das Bild und seine Akteur*innen für uns heute verständlicher machen.
Die Stadtansicht – insbesondere die zwei hohen Kirchtürme – dürfte Marburger*innen bekannt vorkommen. Vergleichen Sie die Türme mit der Elisabethkirche, fallen jedoch Unterschiede zur gotischen Bauweise auf. Die Verurteilten kommen aus einem Tor. Es ist ein weiterer Hinweis dafür, dass diese Szene im historischen Marburg – vielleicht an der Dominikanertreppe unter dem ehemaligen Klostergelände und heutigen Alten Universität – spielt.
DER HISTORIENMALER FORSCHT NACH
Bauer liest in den Protokollen und historischen Unterlagen im Archiv nach, wer die Marburger Hexen und Hexer waren, berichtet Haas. Er forscht in der Geschichte der Hexenverfolgung und kommt zu dem Schluss, dass Personen jeden Alters und Geschlechts angeklagt werden konnten. In Marburg waren es häufig ältere und ärmere Frauen, doch dieses Bild wollte Bauer nicht aufgreifen. Er entschied sich für ein Motiv, das vielleicht seine damaligen Betrachter*innen ähnlich irritierte wie uns: Warum hat er eine so hübsche Hexe dargestellt?
AKTEURE DER HEXENVERFOLGUNG – UND IHRE GEGNER
Bauer integriert Verweise auf Marburg und macht mehrere Persönlichkeiten aus der Geschichte zu den Akteuren seiner Szene, erklärt Haas. Der aufgebrachte Mönch kann Konrad von Marburg (um 1180-1233) darstellen – strenger Beichtvater von Elisabeth von Thüringen (1207-1231) und ebenso bekannter Verfolger sogenannter Ketzer*innen. Dass dieser in seiner Tätigkeit als Inquisitor auch Mitglieder aus Adelsfamilien beschuldigte, bestätigt der Historiker Ronald Füssel. Nicht nur im markanten Kinnbart des zentralen Ritters erkennt Haas Ähnlichkeiten zu Kaiser Friedrich II. (1194-1250). Er war beteiligt an der Heiligsprechung von Elisabeth. Diese Persönlichkeiten sind noch heute bekannt, insbesondere die Dominikanermönche sind nach Füssel Akteure in der Verfolgung von Hexerei gewesen. Der Theologe Martin Luther (1483-1564), führte nicht nur das Marburger Religionsgespräch sondern hielt 1526 auch die sogenannte Hexenpredigt. Er stärkt Konrad von Marburg damit hier bildlich den Rücken. Blicken wir mit Luther auf den Ritter, so könnte er auch sein Schweizer Widersprecher im Religionsgespräch Huldrych Zwingli (1484-1531) sein, so Haas. Ob die Nähe des Ritters und der Hexe auf ihre Bekanntschaft hinweisen könnte, muss hier offen bleiben.
Haas nennt das Bild ein „Lehrstück“ der Geschichte – eine Heldengeschichte um den Ritter, der sich gegen die von kirchlichen Institutionen unterstützte Hexenverfolgung auflehnt. In diesem Bild sind jedoch nicht nur historische Details zu entdecken – es kann auch Kritik in ihm erkannt werden: Die Hexenverfolgung wird von Bauer als irrational dargestellt. Religionskritik schwingt mit. Schade, dass die Vernunft hier nur von einem Mann verfochten wird und die Gesellschaft distanziert als Zusehende verbleibt.
(BE)SCHULDIGE(NDE) MÖNCHE + VERNÜNFTIGE RETTER: VERSCHIEDENE INTERPRETATIONEN DER HEXENVERFOLGUNG
Wie uns Bauer die Hexenverfolgung zeigt, mag also von einer kritischen Perspektive auf die Mönche Martin Luther und Konrad von Marburg geprägt sein. Gefährliche und durch äußere Merkmale erkennbare Hexen gibt er uns nicht zu sehen. Die Hexe wird hier als ein unschuldiges Opfer der christlichen Kirche und der Gesellschaft dargestellt. Die weltliche Macht und die ‚Vernunft‘ ist ihr Retter.
Unsere Einblicke in die Geschichte der Marburger Hexenverfolgung zeigten jedoch auf, dass die Schuld nicht so einfach zu verteilen ist. Die Lage ist komplexer als es uns Bauer vor Augen malt. Es gibt Fälle, in denen Klerus, Fiskal und die Landgraf*innen sich für oder gegen die peinliche Befragung (Folter) der Angeklagten aussprachen. Manche vermeintliche Hexe wurde der Obhut von Pfarrern zugeteilt und konnte so einer noch schlimmeren Bestrafung entgehen. Manche Landgraf*in und Kleriker sprach sich dafür aus, nicht jede Beschuldigung zur Anklage zu bringen. An Anderen wurde ein Exempel statuiert. Füssel stellt heraus, dass es im Marburger Raum eher Einzelfälle waren, die in den Prozessakten vorliegen. In vielen Fällen kam es aufgrund von Streit oder Gerüchten zur Anklage, wie beispielsweise der Fall von Catharina Staudinger zeigt. Anklagen kamen von Schultheißen und aus der Nachbarschaft – aus jener Menschenmenge, die Bauer hier als Zuschauer*innen zeigt.
Tatsächlich waren die öffentliche Verkündung der Urteile am Markt, der Weg der Verurteilten zur Richtstätte und die Tötungen und/oder Verbrennungen ein publikumsreiches Ereignis. Die Menge am rechten Bildrand reckt ihre Köpfe zum Geschehen, sie muss mit einem Holzzaun zurückgehalten werden. Links des Weges ist die Barrikade bereits eingerissen. Dennoch ist diese Menschenmenge erstaunlich ruhig, blickt weniger den rasenden Mönch als vielmehr den Ritter an.
DER VERNÜNFTIGE RITTER
Welche Personen Bauer dargestellt hat, ist heute nicht ganz eindeutig festzulegen. Sehen wir diesen Ritter als Kaiser Friedrich II. – hier als vernünftiger Retter gezeigt – stellt uns dies jedoch vor einen Widerspruch. Der Staufer agierte nicht selten in Kollaboration oder Konflikt mit der Kirche und der Inquisition. Nach Füssel war es Kaiser Friedrich II., der 1238 in einem Erlaß verordnete, dass die überführten sogenannten Ketzer*innen verbrannt werden sollten. Im Jahr 1252 wurde durch ihn seitens der weltlichen Macht die Folter innerhalb der Prozesse gestattet. Später hatte dieser Umgang mit Ketzer*innen und häretischen Gruppen Einfluss auf die Verfolgung von Hexerei. Nach Füssel war es gerade diese Kollaboration von Staat und Kirche, welche die Vorstellung von Hexerei als Verbrechen konstruierte. Dies wirft Fragen danach auf, auf welche Weise Bauer die Geschichte sieht und zeigt.
DIE SCHÖNE HEXE
Das Bild zeigt, wie sich Bauer die Hexenverfolgung zu seiner Zeit vorstellte. Historienbilder waren prestigeträchtig – was gezeigt wird, ist von gesellschaftlicher Relevanz und zeugt meist von mehr als nur den visualisierten Fakten. Mag Bauer mit der schönen Hexe wohl provoziert haben? Soll die Schönheit auf ihre Unschuld oder auf ihre Verführungsmacht hinweisen? Entsprach sie dem damaligen Bild einer Hexe? Dieser Hexe ist eine Schönheit inne, die Fragen nach neuen Hexenbildern stellt – die unseren heutigen Assoziationen und die mediale Rezeption ebenso beschäftigen, wie die alten ‚hässlichen‘ Hexen.
WEISE FRAUEN: NEUE HEXENBILDER
Ende des 19. Jahrhunderts verändert sich das Hexenbild, verschiedene rationalistische, romantische und nationalistische Aneignungen finden seitdem statt. Die Hexenverfolgung wird als irrationales Verbrechen angesehen. Die Schuld wird, wie hier von Bauer, in dieser Zeit vornemlich der Kirche zugesprochen. Dem Historiker Christian Roos zufolge, war es auch Jacob Grimm (1785-1863), der zum diametralen Wandel des Hexenbildes beitrug: In Deutschland wird das Narrativ der ‚weisen Frau‘ populär, die sich aufgrund ihres Wissens um alte, pagane Praktiken und Heilung gegen kirchliche Macht behaupten musste. Dies bezog sich auf Vorstellungen von nordischer Mythologie und führte später zur Idealisierung von Hexen in der Zeit des Nationalsozialismus. Dass nicht besonders viele der Hexerei beschuldigten Personen Hebammen oder Kräuterfrauen waren, ist nach Roos inzwischen durch historische Forschung belegt. Die Idee der ‚weisen Frau‘, Heilerin und Kräuterkundlerin findet sich in der weiteren Rezeptionsgeschichte von Hexerei in unterschiedlichen Deutungen und Kontexten wieder.
IST DIE SCHÖNE EINE HEXE ODER HEILERIN?
Ob Bauer in seiner hübschen auch eine weise Frau sah, muss an dieser Stelle offen bleiben. Mit Diadem und schimmerndem Kleid scheint er eher auf das Äußere einer wohlhabenden Adligen anzuspielen. In ihrer Schöheit wird jedoch der Wandel von Vorstellungen von Hexen sichtbar. Der Historienmaler stellt die Frage nach der Schuld und den Akteur*innen der Hexenverfolgung und beantwortet sie in seinem Bild entsprechend der Deutungen seiner Zeit mit einer Kritik an Religion und einer Idealisierung von Vernunft.
Das Gemälde von Bauer können Sie anlässlich des Themenjahres Andersartig. Hexen. Glaube. Verfolgung im Untergeschoss des Kunstmuseums Marburg anschauen. Vielleicht entdecken Sie selbst weitere oder andere Hinweise auf die Geschichte(n): In dem schnaubenden Pferd, dem verhangenen Kreuz, dem geflügelten Helm des Ritters, der knienden Frau oder der Menge der Zuschauer*innen?
Nachlesen:
Michaela Haas (2020), Wilhelm Bauer, Hexenverfolgung (Kunstmuseum Marburg, Kunstpause).
Online-Vortrag von Michaela Haas zur Kunstpause über Wilhelm Bauers Hexenverfolgung (Kunstpause Online, Einsicht Juli 2020).
Christian Roos (2008), Hexenverfolgung und Hexenprozesse im alten Hessen. Marburg, insb. S. 29-39, S. 80-99, 141-162.
Ronald Füssel (2020), Gefoltert. Gestanden. Zu Marburg verbrannt. Die Marburger Hexenprozesse. Marburg, insbes. S. 14-15.
Herzlichen Dank an das Kunstmuseum Marburg und das Bildarchiv Foto Marburg für die Bereitstellung der Fotografie von Wilhelm Bauers Hexenverfolgung. Das Foto wurde erstellt von Horst Fenchel und Christian Stein und das Gemälde ist im Kunstmuseum Marburg zu sehen.