= ZEITIG | ZEIT =

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„die Wirwettze/Wirwatze“ aus Marburg wird 1513 der Zauberei verdächtigt und 1517 verbrannt. Die Aufzeichnungen über die Kosten des Holzes für den Scheiterhaufen sind die ersten Aufzeichnungen über Hexereiverfolgung im Raum Marburg.

1517

Zeitgleich wird in der Oberstadt am Marburger Rathaus gebaut. In diesem Jahr kritisert der Mönch Martin Luther in einem Brief den Ablasshandel, seine 95 Thesen stoßen die Reformation mit an.

Ein Jahr zuvor wurde das Buch Utopia von Thomas Morus veröffentlicht (1516): In einem philosophischen Dialog entwirft er eine (für ihn) ideale Gesellschaft, kritisiert die Todesstrafe und fordert religiöse Toleranz.

In zehn Jahren (1527) wird die Philipps-Universität Marburg gegründet.

Eva, ihre Schwester und ihre Mutter werden in Marburg verbrannt, da sie für Hexen gehalten werden. Johannes Köhler aus Niederurff gesteht die Hexereivorwürfe in der Tortur und wird vermutlich hingerichtet – dies bleibt in den historischen Akten unklar.

1582

Zeitgleich wird in Frankfurt die Börse gegründet. Zwei Jahre zuvor (1580) hatte Francis Drake als erster Engländer nach 1.018 Tagen einmal die ganze Welt umsegelt. Die Philipps-Universität Marburg besteht nun bereits seit 55 Jahren (1527).

Zahlreiche Landesverweise wegen Kontakten zu Personen mit Hexereihintergrund werden ausgesprochen: Darunter sind Peter Hans Hermanns Ehefrau aus Anzefahr (gen. Plazelsa) und Elisabeth Kempfer aus Marburg. Elisabeth Leuther aus Marburg wurde verwiesen oder verbrannt.

1596

Der frühe Naturwissenschaftler Johannes Kepler verteidigt Galileo Galilei in seinem Buch Mysterium Cosmographicum und prägt damit auch die weitere Forschung der Astronomie. Zeitgleich wird der Philosoph René Descartes geboren.

Die der Hexerei angeklagte Dorothea Hoffmann aus Niederuff wird aus der Haft entlassen oder hingerichtet – das ist nicht überliefert.

1615

Johannes Keplers Mutter Katharina wird im württembergischen Leonberg der Hexerei angeklagt und nach der Untersuchung mehr als fünf Jahre später (1621) freigesprochen. Bereits fünf Jahre zuvor (1610) hatte Galileo Galilei das Teleskop erfunden.

Der 15-jährige Hans Sang/Sanger aus Biedenkopf wird enthauptet und verbrannt. Er hatte vom Sex mit einer Jungfrau gesprochen, die sich als Teufel herausstellte. Damit gab er den Anklagepunkt der sog. Teufelsbuhlschaft zu, die als Hexerei galt.

1631

Zeitgleich arbeitet der Maler Rembrandt van Rjin an Die Anatomie des Dr. Tulp, nachdem er während einer Medizinvorlesung eine Obduktion gesehen hatte. Sieben Jahre später (1637) stellt René Descartes sein Konzept der Analytischen Geometrie vor.

Nach Hexereivorwürfen wird an Elisabeth Sack das Sackschlagen durch einen Hexenmeister aus Wetzlar vollzogen: Unter der Folter gesteht sie. Dies wird als unseriöse Methode vom Marburger Halsgericht abgelehnt. Da ihre Schuld nun nicht bewiesen werden kann, wird sie des Landes verwiesen. Es wird diskutiert, ob der Hexenmeister angeklagt werden soll.

1638

Zeitgleich veröffentlicht Galileo Galilei seine Schrift über die Fallgesetze und prägt damit die Auffassung von Beschleunigung in der Mechanik. In Amsterdam wird einer der ersten städtischen botanischen Gärten eröffnet: Hier wachsen neben einheimischen nun auch tropische Pflanzen.

Else Dietz aus Bottendorf wird der Hexerei für schuldig befunden, enthauptet und verbrannt.

1648

Zeitgleich wird das Mausoleum Taj Mahal nahe Agra in Indien gebaut.

Eine Verfolgungswelle aus Kirchhain führt zu neuen Anschuldigungen. Elisabeth Seip aus Cappel wird verbrannt: Ein elfjähiges Mädchen hatte sie beschuldigt, Kühe krank gehext zu haben. Unter Folter hatte Seip die Herrenmühle als Ort des Hexentanzes benannt und weitere Frauen beschuldigt. Der übereifrige Schultheiß Freund befördert zahlreiche Hexereianschuldigungen, die vom peinlichen Halsgericht in Marburg letztlich abgelehnt werden.

1655

Währenddessen entwickelt ein Nürnberger Uhrmacher einen ersten Rollstuhl. Im selben Jahr stirbt der Schriftstellter Cyrano von Bergerac. Posthum werden seine Bücher über Reisen zu Bewohner*innen auf fernen Planeten wie dem Mond oder über die Regierung der Staaten auf der Sonne veröffentlicht, mit denen er – neben Utopie und Provokation – auch ein kopernikanisches Weltbild beschreibt.

Die Witwe Catharina Staudinger aus Marburg wird als Hexe beschuldigt und verbrannt. Anna Dörn/Dörr – Frau eines Wollwebers aus Weidenhausen – wird angeklagt, die Frau eines anderen Wollwebers aus Marburg vergiftet zu haben. Sie wird hingerichtet und danach verbrannt.

1656

In diesem Jahr stellt Diego Velázquez sein Gemälde Las Meninas (Die Hoffräulein) am spanischen Hof fertig. Zwischen Berlin und Hamburg verkehrt nun regelmäßig die fahrende Post.

Die erste peinliche Befragung (Folter) von Catharina Lips beginnt in Marburg. Sie gesteht auch unter Folter keinen der Vorwürfe wegen Hexerei.

1671

Zeitgleich beginnt der Bau des von Christopher Wren entworfenen London Monument und die Kronjuwelen werden aus dem Tower of London gestohlen.

Gertraud Zwick und Maria Vogel werden der Hexerei angeklagt, verhört und schließlich absolutia ab instantia entlassen. Sie gelten jedoch weiterhin als verdächtig und stehen unter Beobachtung.

1673

Zeitgleich entwickelt Antoni von Leeuwenhoek in Holland das Präzisionsmikroskop und entdeckt die Blutkörperchen. Ludwig XIV. führt am französischen Hof die Allongeperücke als Staatsperücke ein.

Nach Anschuldigungen wird Anna Schnabel aus Betziesdorf enthauptet und beerdigt. Sie war die Enkelin von Catharina Lips, die ebenfalls in diesem Jahr erneut der Hexerei angeklagt und diesmal für schuldig erklärt und verbrannt wird. Unter der Folter hatte sie ihre Enkelin besagt (angeklagt).

1674

Zeitgleich wird in Frankfurt am Main von Benjamin Metzler die zweite Bank Deutschlands gegründet.

Während ihres Gerichtsprozesses wegen Hexereivorwürfen und der peinlichen Befragung (Folter) verstirbt Susanna Lauer aus Wehrda vermutlich in Haft.

1681

Zwei Jahre zuvor (1679) hat Gottfried Wilhelm Freiherr von Leibniz das Binärsystem entwickelt, auf dem das Zahlensystem aus 0 und 1 heutiger Computer basiert.

Maria Weigand aus Bracht und Anna Catharina Wolff aus Betziesdorf werden des Landes verwiesen. Sie müssen die Kosten ihres Prozesses wegen Hexerei selbst zahlen.

1685

Zeitgleich darf erstmals öffentlich Kaffee ausgeschenkt werden, im ersten Wiener Kaffeehaus.

Elisabeth Leuning/Thiel aus Rosenthal wurde enthauptet und verbrannt. Sie war die letzte wegen Hexerei getötete Person in Marburg. Jeremias Schneider aus Marburg muss wegen Hexereiverdachts im selben Jahr eine Geldstrafe zahlen.

1688

Ein Jahr zuvor formulierte Sir Isaac Newton seine Bewegungsgesetze und erklärte die Gravitation. Zwei Jahre später (1690) entwickelt Dennis Papin in Marburg das Prinzip der Kolben-Dampfmaschine. 14 Jahre darauf (1704) betreibt er damit in Kassel das erste Dampfschiff.

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Was geschah zeitgleich in Marburg und der Welt, als die Opfer der Hexenverfolgungen im Hexenturm gefangen genommen, gefoltert und am Richtsberg hingerichtet und/oder verbrannt wurden? Die Hexenprozesse in Marburg sind nicht ins sogenannte dunkle Mittelalter zu verorten sondern in die frühe Neuzeit. Sie mündet später in die Aufklärung und nimmt damit ein heute imaginiertes Ideal der Rationalität, der Entdeckungen und der Wissenschaft vorweg. Die schlaglichtartigen Beispiele sind Teil einer komplexen und facettenreichen Geschichte. Sie zeigen nur exemplarisch auf, dass der Hexenglaube und die Hexenverfolgung in viele Kontexte um Entdeckungen und neue Perspektiven auf die Welt eingebettet waren.

Wer waren die Opfer und was wurde ihnen vorgeworfen? Warum kam es zu sogenannten Verfolgungswellen und immer neuen Hexereianschuldigungen? Wie war der Hexenglaube in die Gesellschaft, die Religion, die Politik und die Kunst jener Zeit eingebunden?

In unseren Beiträgen widmen wir uns diesen Fragen und konkreten Beispielen. Lesen Sie mehr über die Opfer der Hexenverfolgung, die Protokolle ihrer Folter, den Verlauf eines Hexenprozesses oder was an den Orten der Hexenverfolgung in Marburg heute noch von ihrer Geschichte zeugt.

Quellen und Fakten zu den Marburger Hexenverfolgungen und Prozessen nachlesen:

Eva Bender (2020), Zauberei ist des Teufels selbs eigen Werk – Hexenglaube und Hexenverfolgung in Hessen. Text zur Ausstellung im Hessischen Staatsarchiv Marburg [18. Feburar bis 14. August 2020]. (hier: insb. S. 16-17, 36).

Ronald Füssel (2020), Gefoltert, gestanden, zu Marburg verbrannt. Die Marburger Hexenprozesse. Marburg.

Christian Roos (2008), Hexenverfolgung und Hexenprozesse im alten Hessen. Marburg. (insb. S. 53-58, 62, 71-91, 95.)

Historischen Kontext nachlesen:

Harmut Lehmann, Anne-Charlott Trepp (1999), Im Zeichen der Krise: Religiosität im Europa des 17. Jahrhunderts. Göttingen.

Josef Ranner, Gerhard Danzer (2005), Philosophie im 17. Jahrhundert. Die Entdeckung von Vernunft und Natur im Geistesleben Europas. Würzburg. (Zu Galileo Galilei insb. S. 141-157; G. W. Leibniz, S. 173-187).

Johannes Burkhardt (2009), Deutsche Geschichte in der frühen Neuzeit. München.

Lars Jaeger (2015), Die Naturwissenschaften. Eine Biographie. Berlin/Heidelberg.

Thomas Maissen (2013), Geschichte der frühen Neuzeit. München. (S. 121f.)

WebHistoriker (o. J.) Chronik des 17. Jahrhunderts, online verfügbar unter: https://webhistoriker.de/ (letzter Zugriff am 12. September 2020).

Zeugenverhör aus dem Hexenprozess gegen Katharina Kepler, Mutter des Astronomen Johannes Kepler. 14. Juli 1621, im Landesarchiv Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart A 209 Bü 1055 Q. 66

1 Kommentar

  1. „Zeitgleich … “ … sehr viel lebendiger wird und näher kommt dadurch das Geschehene – die Geschichte wird im Kopf klarer, dadurch noch entsetzlicher.

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