Tage
Stunden Minuten Sekunden
bis
YULE
Feste und Rituale im Laufe des Jahres und im Rhythmus der saisonalen Veränderungen finden sich in den unterschiedlichsten Traditionen. Die zeitgenössischen Hexen und modernen Wicca orientieren sich meist an acht verschiedenen Festen, wobei dies durchaus unterschiedlich gehandhabt werden kann. Zu den acht Festen gehören die vier Feste, die als dem keltischen Kalender entnommen gelten: Imbolc am 02. Februar, Beltane am 30. April, Lughnasadh am 01. August und Samhain am 31. Oktober. Dazu kommen die beiden Tag- und Nachtgleichen Ostara am 21. März und Mabon am 21. September sowie die Sommer- und die Wintersonnenwende Litha am 21. Juni und Yule am 21. Dezember.
Zu allen Jahreskreisfesten gibt es bereits Beiträge, die mit den Links im ersten Absatz aufgerufen werden können. Darin gehen wir auf verschiedene historische Vorstellungen der jahreszeitlich geprägten Feste und weitere Traditionen ein. Wir verbinden diese mit den zeitgenössischen Feiern und Hintergründen zu deren moderner Entwicklung als Zyklus der Jahreskreisfeste. Ergänzend stellen wir Vorschläge der bekannten US-amerikanischen Hexe und Ökoaktivistin Starhawk vor. Die Reihe ist gekennzeichnet durch Ritualbilder, die thematisch auf Praktiken und jahreszeitliche Symboliken verweisen.
Weitere Beiträge kommen hinzu, und so beginnt ein neuer Zyklus. Bereits vorhanden im zweiten Zyklus, den wir bei ANDERS[nicht]ARTIG beschreiben: Mabon am 21. September und Samhain am 31. Oktober.
In den neuen Beiträgen bringen wir neue spannende Aspekte ein und stellen z.B. Ritualvorschläge von Scott Cunningham vor, der Wicca auch für allein Praktizierende zugänglich machen wollte. Diesmal begleiten Bilder die Beiträge, die stärker auf die kulinarischen Köstlichkeiten der Jahreszeiten verweisen: Eine Referenz an die Sinnesfreuden, die den historischen Hexen nachgesagt werden und den zeitgenössischen gerade recht kommen. Und von Kräuterhexen haben wir alle schon mal gehört… Was kochen eigentlich die Hexen* in ihren Kesseln?
Momentan ist vielleicht eher der Ofen in Nutzung.

WEIHNACHTEN, JUL, MITTWINTER: FEIERN ZUR WINTERSONNENWENDE
Noch bis ins 16. Jahrhundert wurde der sogenannte julianische Kalender des römischen Reiches angewandt, der auf dem Sonnenjahr basierte. Bis dahin fiel die Wintersonnenwende auf den 25.12. wie zur Zeit der Einführung des julianischen Kalenders. Dieser Zeitpunkt wurde im 3. Jahrhundert als Sol invictus ein staatliches Fest für den unbesiegbaren Sonnengott und ist möglicherweise ein Grund, weshalb es sich aus christlicher Sicht schon weniger als hundert Jahre später anbot, diesen Tag zum Geburtstag des Erlösers zu erklären. Mit der Durchsetzung des Christentums im späten 4. Jahrhundert verlor die Verehrung des Sol zunehmend an Bedeutung. Der im 16. Jahrhundert eingeführte gregorianische Kalender brachte das astronomische Sonnenjahr besser mit dem Kalenderjahr zusammen, so dass das astronomische Phänomen der Wintersonnenwende mit der längsten Nacht und dem kürzesten Tag in Mitteleuropa mit geringen Schwankungen um den 21.12. herum stattfindet.
Das englische Yule leitet sich wahrscheinlich vom skandinavischen Jul ab, was seit dem Mittelalter die Bezeichnung für Weihnachten ist. Jul ist in seiner genauen Bedeutung aufgrund der Quellenlage im altnordischen und germanischen Sprachraum schwierig zu bestimmen, ebenso wie ein möglicher Bezug zu Feiern der Wintersonnenwende. Der älteste Nachweis für das Wort Jul bezeichnete einen besonderen Zeitraum von Ende Oktober und den gesamten November.
Das Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens vermutet verschiedene Einflüsse auf das kirchliche Weihnachten, u.a. auch vom sogenannten Mittwinterfest. Die Bezeichnung wihnacht in der Einzahl taucht zum ersten Mal 1170 auf. Die Bezeichnung Jul für das ’nordische‘ Weihnachtsfest verweist für das Handwörterbuch auf vorchristliche Feiern, ebenso wie viele der Bräuche, die zu diesem Zeitpunkt üblich waren. Der im Mittelalter, im 12./ 13. Jahrhundert, schreibende isländische Dichter Snorri Sturluson gilt als der Autor der Prosa-Edda, die über die nordische Mythologie berichtet. Das Handwörterbuch verweist auf ihn, der berichtet, dass eines der drei Opfergelage des Gottes Odin der nordischen Götterwelt in der Julzeit gefeiert worden sei. Die Julzeit sei auch die Zeit der Toten, für die ein Tisch mit Speisen gedeckt worden sei. Für „deutsche Gebiete“ ließe sich bis ins 15. Jahrhundert zurück zeigen, dass ein Speisen-Tisch für die Perchta gedeckt worden sei. Auch von Umzügen in diesen Tagen berichtet das Handwörterbuch. Damit zeige sich auch ein wichtiger Aspekt des Festes, nämlich das Feiern außerhalb des Hauses.

Auch in dieser Darstellung ist also das Fest nicht auf einen Tag beschränkt, sondern dauert über einen Zeitraum von mehreren Tagen oder noch länger, und ist markiert mit einer besonderen Zeit der Toten und Odin, der in diesem Zusammenhang mit der sogenannten „Wilden Jagd“ assoziiert wird. Diese Übergangszeit wird ebenfalls mit den sogenannten Rauhnächten in Verbindung gebracht wird, welche sich in letzter Zeit immer größerer Beliebtheit erfreuen. Die auch Zwölfernächte oder Losnächte genannten Nächte werden allerdings meist ab dem 25.12. gezählt, es gibt aber auch Zählungen mit dem Beginn ab dem 21. Dezember. Oft werden sie in Verbindung mit den Tagen gebracht, die sich aus der Differenz zwischen dem nach dem Lauf des Mondes und dem der Sonne berechneten kalendarischen Jahr ergeben. Beliebt sind allerlei Praktiken, die sich mit dem kommenden Jahr befassen.
Die verschiedenen Interpretationen wie auch die Einträge des Handwörterbuchs zeigen immer wieder auf, dass sehr viele unterschiedliche Arten von Quellen und Überlegungen, Assoziationen und Vermutungen diese Aspekte miteinander in Beziehung setzen. Welche Praktiken aus welchen religiösen Traditionen überliefert und auch umgedeutet und erneuert wurden, lässt sich nicht immer eindeutig nachvollziehen. Die Darstellungen und Zusammenstellungen des Handwörterbuches lassen sich aus heutiger Sicht der Forschung nicht immer bestätigen – sie spiegeln die Überlegungen ihres Entstehungszeitraumes und sind in ihren Deutungen v.a in Hinblick auf vor-christliche, germanische oder deutschsprachige Kontexte kritisch zu lesen.

Mit der winterlichen Jahreszeit und den Festen werden immergrünen Pflanzen assoziiert, wie die Stechpalme. Sie steht teilweise symbolisch für die Winterzeit wie die Eiche für die Sommerzeit: z.B. stellte Jacob Grimm Überlegungen zu der Bedeutung der Sonnenwenden als wichtige Feste vor. Dazu kann im Beitrag über das Fest zur Sommersonnenwende Litha mehr nachgelesen werden.
WICCA UND DAS JAHRESKREISFEST YULE
Der britische Historiker Ronald Hutton verweist darauf, dass die zeitgenössischen Feste zu den Sonnenwenden wahrscheinlich durch die Zusammenarbeit von Gerald B. Gardner, der wesentlich das moderne Wicca in den 1950ern in Großbritannien entwickelte, mit Doreen Valiente in den Jahreskreiszyklus aufgenommen wurden. Valiente schrieb eine rituelle Anrufung der Göttin, die zum Ausgangspunkt für Anrufungen für weitere Feste wurde. Valiente und Gardner bezogen sich in Anlehnung an die früheren umstrittenen und widerlegten Thesen der Ägyptologin Margaret Murray auf einen vermuteten druidischen Glauben in Großbritannien und Feiern zu den Sonnenwenden. Die Verbindung von Motiven walisischer und irischer Literatur und einer vermuteten druidischen Religion inspirierte die meisten der bekannten acht Jahreskreisfeste. In den 1980ern entwickelte sich daher auch die Bezeichnung keltisches Jahresrad oder keltischer Jahreskreis.
Auch Scott Cunningham orientiert sich an dem Glauben an das Jahresrad. Er beschreibt die Jahreskreisfeste, die die Wicca feiern, als Zyklus von Werden und Vergehen, symbolisiert durch Gott und Göttin. Das Julfest fällt in die Zeit der Wintersonnenwende, der kürzeste Tag des Jahres. Danach ist jeder Tag ein bisschen länger, das Licht wird also wiedergeboren, und der Gott als Symbol der Sonne, wird durch die Göttin geboren. Feuer und Kerzen, die zu diesem Fest angezündet werden, symbolisieren die Wiederkehr der Sonne, wie Cunningham beschreibt. Das Christentum habe, so Cunningham, im 3. Jahrhundert diesen Zeitpunkt für seine Feierlichkeiten göttlicher Geburt übernommen.
Scott Cunningham, der v.a. in den 1980ern und 90ern einflussreiche Bücher zu Wicca und Magie publizierte und offen homosexuell lebte, war der Meinung, dass sich Wicca mehr öffnen sollte und auch für diejenigen, die nicht in einer Gruppe praktizieren wollten oder dies aus Mangel an Gleichgesinnten nicht konnten, zugänglich sein sollte. Wichtig war ihm auch, dass Praktizierende ihre eigenen Formen entwickeln können. Cunningham nennt als Julbräuche neben dem Julfeuer auch den Julbaum, der z.B. mit Äpfeln, Orangen und Zitronen geschmückt werden könne und eine ‚uralte Tradition‘ sei. Als Essen zum Julfest benennt er Nüsse und Früchte und z.B. Ingwertee.
Cunningham schlägt vor, den Altar mit immergrünen Zweigen zu schmücken. Ein Kessel solle entweder mit brennbarem Alkohol gefüllt werden – oder eine rote Kerze soll hineingestellt werden. Im Freien wäre ein Feuer möglich. Während Kerze oder Feuer brennen können Verse zu Ehren der Göttin aufgesagt werden. Für den Lauf im Uhrzeigersinn um Altar und Kessel gibt Cunningham allen folgenden Vers mit:
Das Rad dreht. Die Kraft steht.

Nach einer Meditation kann folgender Spruch aufgesagt werden:
O Großer Gott der Sonne,
ich preise deine Wiederkehr.
Schick der Göttin deinen Strahlenglanz,
schick der Erde deinen Srahlenglanz.
Gesegnet seist du,
Wiedergeborener der Sonne!
Scott Cunningham, Wicca…, S. 158

Wer Starhawk ist und wie sie das Jahreskreisfest Yule feiert findet sich in dem älteren Beitrag zum Yule-Fest.
Nachlesen
„Weihnacht“ in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Berlin und Leipzig 1938/41, Bd. IX, Sp. 864ff.
Scott Cunningham (2020; engl. Original 1988/2004), Wicca. Einführung in Spiritualität und Praxis der neuen Hexenkunst, München, hier S. 86f. und 156ff. Es empfiehlt sich das Original Wicca: A Guide for the Solitary Practitioner, Woodbury.
Ronald Hutton (2008), Modern Pagan Festivals: A Study in the Nature of Tradition, in: Folklore 119:3, S. 251-273; DOI: 10.1080/00155870802352178.
Anders Hultgård (2000), „Jul“, in: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Bd. 16, Berlin/ New York, https://db.degruyter.com/view/GAO/RGA_2802.