DOREEN VALIENTE UND WICCA: DAS LEBEN UND DIE FREUDE

Im Kontext der zeitgenössischen Hexen ist oft von Wicca die Rede. Allerdings bezeichnen sich nicht alle Hexen so oder ordnen sich dieser Richtung zu, es gibt viele unterschiedliche Selbstverständnisse. Für manche ist die Hexe Ausdruck feministischer Selbstermächtigung, andere bezeichnen sich selbst als Hexe oder Witch, die Magie oder einfach Witchcraft (Hexerei in der englischen Bezeichnung) betreiben.

Wicca als zeitgenössische Religion entstand ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Praktizierenden sind meistens (aber nicht mehr zwangsläufig) in Coven, also Zirkeln von 13 Personen organisiert, in die man initiiert wird. Maßgeblich war dafür der Brite Gerald B. Gardner, ehemaliger Kolonialbeamter und Mitglied verschiedener okkultistischer Orden. Er gab an, Ende der 1930er in einen Hexenzirkel in New Forest initiiert worden zu sein. Gardner verfasste einige Bücher, die, nachdem der Witchcraft Act gegen Hexerei 1951 in Großbritannien aufgehoben wurde, den Grundstein für Wicca legten. Gardner bezeichnete dies zunächst als „Wica“, aus dem dann Wicca wurde, wobei das altenglische wicce eine weibliche Hexe, und wicca eine männliche Hexe bezeichnete.

Wicca kann auch als neo-pagane Religion verstanden werden, deren Angehörige die Natur als heilig betrachten und Jahreskreisfeste feiern. Göttliche Kräfte werden meist als Gott und Göttin vorgestellt, die in allem sind: Das Leben, die Menschen, die Natur sind heilig.

DOREEN VALIENTE

Doreen Valiente (1922-1999) war eine britische Wicca und für die Entwicklung des Gardnerian Wicca in Großbritannien prägend, aber auch für Wicca insgesamt. Sie wurde zu Beginn der 1950er in den Coven von Gerald B. Gardner initiiert, und fungierte dort als Hohepriesterin, bis es ein paar Jahre später zum Bruch kam. Valiente gründete einen eigenen Coven bzw. wurde Mitglied in weiteren.

Als Hohepriesterin hatte sie Einfluss auf die Entwicklung von Ritualen und wesentlich auch von Ritualtexten. Sie engagierte sich für die Anerkennung und Organisation von Wicca und schrieb mehrere Bücher. In dem 1978 erschienenen Witchcraft for Tomorrow beschreibt sie auch die Möglichkeit der Selbstinitiation. Damit konnten Wicca unabhängig von einem Coven arbeiten.

GÖTTLICHKEIT, GESCHLECHTER UND NATUR

In Witchcraft for Tomorrow beklagt Valiente die Zerstörung allen Lebens auf der Erde durch die Menschen. Eine Besinnung auf unsere Basis sei notwendig – und diese sei das göttliche Leben des Universums selbst, die Natur, die nicht vom Menschen gemacht worden sei:

„Our base is the Divine Life of the universe. Our means of keeping in touch with it cannot be through any man-made dogma, but through nature, which man did not make. Men’s hands wrote all the holy books and sacred scriptures; only the book of nature was written by divinity.“

Doreen Valiente (1978), Witchcraft for Tomorrow, S. 46

Ihre neben ökologisch-naturverbundenen durchaus auch feministischen Einstellungen zeigen sich in ihrer deutlichen Kritik an dem berühmten (und wohl auch auf Gerald B. Gardner Einfluss habenden) Okkultisten Aleister Crowley. Diesen stuft sie als schlimmen Chauvinisten ein, welcher Frauen keinerlei Fähigkeit zur Wahrheitsfindung zugesprochen habe. Allerdings, so merkt sie an, habe ihn das nicht davon abgehalten, sich hin und wieder als Frau zu kleiden. In dem Zusammenhang äußert sie in Anlehnung an die psychologische Theorie zum Penis-Neid die Vermutung, der Ursprung männlichen Chauvinismus könne im Vagina-Neid liegen…

Bereits in ihrem Buch von 1973 ABC of Witchcraft weist sie das patriarchale Konzept von Gott zurück. Sie formuliert als grundlegenden Glauben der Hexen, dass Göttlichkeit als männlich und weiblich begreifbar sein könne, oder besser als die lebendige Kraft des Universums selbst.

„Witches reject the masculine, patriarchal concept of God, in favour of older ideas. (…) It seems more reasonable to them to conceive of divinity as being both masculine and feminine (…).

If witches‘ concept of God were to be more precisely defined, it could perhaps best be called Life itself – the life-force of the universe.“

Doreen Valiente (1973), An ABC of Witchcraft Past & Present, S. 35

Damit formuliert sie zwei wesentliche Aspekte, die für zeitgenössische Hexen nach wie vor wichtig sind: die Zurückweisung patriarchaler Konzepte von Göttlichkeit und die Verbindung mit der Natur, der lebendigen Kraft. Dies ist besonders innerhalb der feministischen Entwicklungen in den USA der 1970er relevant wie z.B. bei der Aktivistin, Hexe, Ökofeministin und Psychologin Miriam Simos. Unter dem Namen Starhawk veröffentlichte sie 1979 The Spiral Dance. A Rebirth of the Ancient Religion of the Great Goddess. In diesem Buch entwarf sie eine zeitgenössische Form von Hexenglauben als eine alte Religion, die die Göttin (mit dem Gott an ihrer Seite) in den Mittelpunkt stellte. Valiente war ihrerseits später offenbar auch von Starhawk angetan und beeinflusst.

Mit dem Konzept der lebendigen Kraft die das ganze Universum belebt, wie Doreen Valiente es beschreibt, ist es möglich, Göttlichkeit nicht mehr geschlechtlich konnotiert zu konzipieren. Allerdings verblieben und verbleiben für viele die Vorstellungen von männlichen und weiblichen Kräften und ihre Symbolik in Gott und Göttin relevant. Dies kommt auch in dem Verständnis von Ritualen zu den Jahreskreisfesten zum Ausdruck, wie sie Starhawk beschrieben hat (siehe dazu die erste Reihe zu den Jahreskreisfesten, z.B. Samhain).

Valientes Biographie beinhaltet auch umstrittene Details: Sie arbeitete während der 1940er zeitweise für den britischen Geheimdienst und trat in den 1970ern für einige Monate einer rechtspopulistischen Partei bei.

Aber berühmt wird sie immer für ihre viel zitierte Aussage aus dem Werk Aufruf der Göttin sein, Charge of the Goddess: „(…) all acts of love and pleasure are my rituals“, alle Taten der Liebe und der Freude sind meine Rituale. In diesem beliebten Zitat wird die Bedeutung von Liebe als verbindende Beziehung sowie die Betonung von Freude und Vergnügen als grundlegend für Wicca formuliert.

Ihr Nachlass befindet sich in der Doreen Valiente Foundation.

Nachlesen & Nachhören:

Doreen Valiente (1978), Witchcraft for Tomorrow, New York, hier S. 46, zu A. Crowley S. 43.

Doreen Valiente (1973), An ABC of Witchcraft Past & Present, London, hier S. 35.

Charge of the Goddess auf der Seite der Foundation: https://www.doreenvaliente.com/Doreen-Valiente-Doreen_Valiente_Poetry-11.php

Der kanadische Podcast Missing Witches befasst sich mit Hexen der Gegenwart und Vergangenheit und erzählt ihre Geschichten, eine Folge ist auch Doreen Valiente gewidmet.

Britta Rensing (2005), „Wicca“, in: Michael Klöcker/ Udo Tworuschka (Hg.), Handbuch der Religionen, 10. EL.

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