FOKUS: HEXEN + FEMINISMUS

HEXEN UND SELBSTBESTIMMUNG >
Während der historischen Hexenverfolgungen war der größte Anteil der Verfolgten Frauen. Und der berühmt-berüchtigte HEXENHAMMER von 1487 bringt das Hexereidelikt mit den Frauen und sogar ganz besonders mit den Hebammen in Verbindung. Die Themen Abtreibung und Geburt sind also seit langem mit der Figur der Hexe verknüpft. Damit ist sie Gegenstand von Machtstrukturen, Zugriffsrechten und Kontrolle über den weiblichen Körper und seine Reproduktionsfähigkeit, auch wenn Hebammen nicht in besonderer Weise zu den historischen Opfern zählten.
In feministischen Debatten aber bleiben Fragen zu weiblichen Wissenskulturen und der geschlechtsspezifischen Unterdrückungs- und Auslöschungspraxis relevant. Arbeiten wie die von SILVIA FEDERICI zu den Zusammenhängen zwischen ökonomischen wie genderspezifischen Aspekten der historischen Hexenverfolgung aktualisieren diese Fragen und ermöglichen ein anderes Verständnis der Hexe als eine widerständige und symbolische Figur für die Selbstermächtigung von Frauen. In ihrem Namen werden politische Forderungen nach SELBSTBESTIMMUNG ÜBER DIE EIGENEN KÖRPER und reproduktive Fähigkeiten erneut formuliert.
Dies zeigt sich auch in dem in den vergangenen Jahren verstärkt im öffentlichen Raum und auf Demonstrationen im Zusammenhang mit beispielsweise der #MeToo-Bewegung anzutreffenden Slogan: „We are the witches you were not able to burn“. Er stellt eine Verbindung zu den historischen Hexenverfolgungen her und aktiviert die Hexe erneut als politische Provokation.
HEXE-SEIN ALS PERSÖNLICHE UND POLITISCHE PRAXIS >
1977 demonstrierten in Italien die Frauen für ihre Rechte auf Unversehrtheit und riefen: „Zittert, zittert, die Hexen sind wieder da!“. Sie protestierten gegen Gewalt und den Abtreibungsparagraphen und benutzten das italienische Wort für Hexe, strega, vom Lateinischen STRIGA für Nachteule bzw. einen Kinder stehlenden weiblichen Dämon.
Auch in Deutschland fanden ab 1977/78 Demonstrationen von Frauen zur WALPURGISNACHT statt, teilweise als Hexen verkleideten. Allerdings verlor die Hexe als Symbol in politischen Kontexten im Laufe der Jahre ihre Bedeutung, bevor sie seit einiger Zeit wieder verstärkt öffentlich sichtbar genutzt wurde.
Seit den 1970ern ist die Hexe allerdings aber nicht nur ein politisches Symbol der Selbstermächtigung und Freiheit von Frauen, sondern eben auch eine feministische religiöse Praxis, die in Gruppen, allein von ‚freifliegenden‘ Hexen und in den letzten Jahren auch als eine Art spiritueller Lifestyle in den sozialen Medien ausgeübt wird.
Warum ausgerechnet die Hexe? Dazu schreibt die aktuell erfolgreiche Podcasterin, bekannte Autorin und selbstbekennende Hexe Pam Grossman, die Hexe sei deswegen so besonders, weil sie eine Grenzgängerin sei, menschlich, aber auch mehr als das: Sie sei verwandt mit mit Göttinnen, Feen, Teufeln und Monstern, und doch sei sie eine ganz eigene Figur, denn für gewöhnlich sei sie eben auch menschlich. Deshalb eigne sie sich als Identifikationsfigur – alle könnten zur Hexe werden.
Die Psychologin, Aktivistin und Ökofeministin Miriam Simos schrieb bereits 1979 über den Hexenglauben als die ‚Alte Religion‘ der Großen Göttin. Unter dem Namen STARHAWK ist sie eine der wichtigsten Vertreterinnen der Reclaiming Tradition, eine der feministisch ausgerichteten Formen des zeitgenössischen Hexentums. Sie etablierte wichtige Rituale und ein Verständnis einer religiösen Praxis, die auch deswegen so wichtig sei, weil Frauen religiöse Vorbilder und spirituelle Systeme fehlen würden, die die weiblichen Bedürfnisse und Erfahrungen ansprechen.
Dabei geht es ihr aber um gesamtgesellschaftlich-politische Veränderung: Sie thematisiert kritisch die Verbindung zwischen religiöser und weltlicher Macht und entwickelt das Verständnis der Göttin als in der Welt seiend, überall und in jedem Menschen, aber ohne Herrschaftsanspruch oder Hierarchien.
Seitdem hat sich auch in den verschiedenen Traditionslinien der zeitgenössischen Hexen vieles weiterentwickelt, die Debatten Heteronormativität und Geschlechtsidentität haben auch hier Konflikte um die Fragen ausgelöst, wer damit ausgeschlossen wird. Einige Positionen erachten nach wie vor einen Geschlechter-Dualismus in Gott und Göttin symbolisiert für relevant und stellen z.B. eine als spezifisch weiblich verstandene Körperlichkeit in den Mittelpunkt ritueller Praxis.
Andere betrachten die Hexe als eine queere Figur und verbinden Forderungen nach einer gleichberechtigten Welt in aktivistischen Kämpfen gegen sexistische, aber auch soziale und ökonomische Ungerechtigkeiten, den Klimawandel und (neo-)koloniale Machtverhältnisse mit ihrem Selbstverständnis als Hexen. Feminismus versteht sich in diesen Perspektiven als inklusiv in Bezug auf alle Geschlechter, die nicht dem binären Geschlechtermodell entsprechen, und weitere sozial marginalisierte Positionen.
DIE HEXEN… SIND WIEDER DA  >
Die Hexe ist aktuell eine beliebte Ausdrucksformen individueller feministischer religiöser Selbstermächtigung und politischen Widerstandes. Und auch die in den sozialen Medien, z.B. unter #WitchTok und #witchesofinstagram, ließ sich in den letzten Jahren ein rasanter Zuwachs verzeichnen.
Die Zeiten scheinen den erneuten Bezug auf Hexen zu erfordern scheinen: Als persönliche Identifikation, politische Aussage, widerständige Figur und religiöse Praxis entfaltet sie offenbar immer wieder eine besondere Faszination und Kraft. Mehr als 40 Jahre nach Starhawk’s oben genanntem Buch schreibt Pam Grossman noch einmal: „Die Hexe erwacht.“.

NACHLESEN >

 Silvia Federici (2012), Caliban und die Hexe : Frauen, der Körper und die ursprüngliche Akkumulation, Wien.
Gisela Graichen (1986), Die neuen Hexen. Gespräche mit Hexen, Hamburg.
Pam Grossman (2019), Waking the Witch. Die Kraft der Neuen Weiblichkeit, Berlin, (Verweise hier S. 21 und 356).
Victoria Hegner (2019), Hexen der Großstadt. Urbanität und neureligiöse Praxis in Berlin, Bielefeld.
Walter Rummel und Rita Voltmer (2008), Hexen und Hexenverfolgung in der Frühen Neuzeit, Darmstadt.
Starhawk (1992), Der Hexenkult als Ur-Religion der Großen Göttin, Freiburg (engl. Orig. 1979).

Text: Marita Günther | Fotografie: Marita Günther

HEXEN UND SELBSTBESTIMMUNG

Während der historischen Hexenverfolgungen war der größte Anteil der Verfolgten Frauen. Und der berühmt-berüchtigte HEXENHAMMER von 1487 bringt das Hexereidelikt mit den Frauen und sogar ganz besonders mit den Hebammen in Verbindung. Die Themen Abtreibung und Geburt sind also seit langem mit der Figur der Hexe verknüpft. Damit ist sie Gegenstand von Machtstrukturen, Zugriffsrechten und Kontrolle über den weiblichen Körper und seine Reproduktionsfähigkeit, auch wenn Hebammen nicht in besonderer Weise zu den historischen Opfern zählten.
In feministischen Debatten aber bleiben Fragen zu weiblichen Wissenskulturen und der geschlechtsspezifischen Unterdrückungs- und Auslöschungspraxis relevant. Arbeiten wie die von SILVIA FEDERICI zu den Zusammenhängen zwischen ökonomischen wie genderspezifischen Aspekten der historischen Hexenverfolgung aktualisieren diese Fragen und ermöglichen ein anderes Verständnis der Hexe als eine widerständige und symbolische Figur für die Selbstermächtigung von Frauen. In ihrem Namen werden politische Forderungen nach SELBSTBESTIMMUNG ÜBER DIE EIGENEN KÖRPER und reproduktive Fähigkeiten erneut formuliert.
Dies zeigt sich auch in dem in den vergangenen Jahren verstärkt im öffentlichen Raum und auf Demonstrationen im Zusammenhang mit beispielsweise der #MeToo-Bewegung anzutreffenden Slogan: „We are the witches you were not able to burn“. Er stellt eine Verbindung zu den historischen Hexenverfolgungen her und aktiviert die Hexe erneut als politische Provokation.

HEXE-SEIN ALS PERSÖNLICHE UND POLITISCHE PRAXIS

1977 demonstrierten in Italien die Frauen für ihre Rechte auf Unversehrtheit und riefen: „Zittert, zittert, die Hexen sind wieder da!“. Sie protestierten gegen Gewalt und den Abtreibungsparagraphen und benutzten das italienische Wort für Hexe, strega, vom Lateinischen STRIGA für Nachteule bzw. einen Kinder stehlenden weiblichen Dämon.
Auch in Deutschland fanden ab 1977/78 Demonstrationen von Frauen zur WALPURGISNACHT statt, teilweise als Hexen verkleideten. Allerdings verlor die Hexe als Symbol in politischen Kontexten im Laufe der Jahre ihre Bedeutung, bevor sie seit einiger Zeit wieder verstärkt öffentlich sichtbar genutzt wurde.
Seit den 1970ern ist die Hexe allerdings aber nicht nur ein politisches Symbol der Selbstermächtigung und Freiheit von Frauen, sondern eben auch eine feministische religiöse Praxis, die in Gruppen, allein von ‚freifliegenden‘ Hexen und in den letzten Jahren auch als eine Art spiritueller Lifestyle in den sozialen Medien ausgeübt wird.
Warum ausgerechnet die Hexe? Dazu schreibt die aktuell erfolgreiche Podcasterin, bekannte Autorin und selbstbekennende Hexe Pam Grossman, die Hexe sei deswegen so besonders, weil sie eine Grenzgängerin sei, menschlich, aber auch mehr als das: Sie sei verwandt mit mit Göttinnen, Feen, Teufeln und Monstern, und doch sei sie eine ganz eigene Figur, denn für gewöhnlich sei sie eben auch menschlich. Deshalb eigne sie sich als Identifikationsfigur – alle könnten zur Hexe werden.
Die Psychologin, Aktivistin und Ökofeministin Miriam Simos schrieb bereits 1979 über den Hexenglauben als die ‚Alte Religion‘ der Großen Göttin. Unter dem Namen STARHAWK ist sie eine der wichtigsten Vertreterinnen der Reclaiming Tradition, eine der feministisch ausgerichteten Formen des zeitgenössischen Hexentums. Sie etablierte wichtige Rituale und ein Verständnis einer religiösen Praxis, die auch deswegen so wichtig sei, weil Frauen religiöse Vorbilder und spirituelle Systeme fehlen würden, die die weiblichen Bedürfnisse und Erfahrungen ansprechen.
Dabei geht es ihr aber um gesamtgesellschaftlich-politische Veränderung: Sie thematisiert kritisch die Verbindung zwischen religiöser und weltlicher Macht und entwickelt das Verständnis der Göttin als in der Welt seiend, überall und in jedem Menschen, aber ohne Herrschaftsanspruch oder Hierarchien.
Seitdem hat sich auch in den verschiedenen Traditionslinien der zeitgenössischen Hexen vieles weiterentwickelt, die Debatten Heteronormativität und Geschlechtsidentität haben auch hier Konflikte um die Fragen ausgelöst, wer damit ausgeschlossen wird. Einige Positionen erachten nach wie vor einen Geschlechter-Dualismus in Gott und Göttin symbolisiert für relevant und stellen z.B. eine als spezifisch weiblich verstandene Körperlichkeit in den Mittelpunkt ritueller Praxis.
Andere betrachten die Hexe als eine queere Figur und verbinden Forderungen nach einer gleichberechtigten Welt in aktivistischen Kämpfen gegen sexistische, aber auch soziale und ökonomische Ungerechtigkeiten, den Klimawandel und (neo-)koloniale Machtverhältnisse mit ihrem Selbstverständnis als Hexen. Feminismus versteht sich in diesen Perspektiven als inklusiv in Bezug auf alle Geschlechter, die nicht dem binären Geschlechtermodell entsprechen, und weitere sozial marginalisierte Positionen.

DIE HEXEN… SIND WIEDER DA!

Die Hexe ist aktuell eine beliebte Ausdrucksformen individueller feministischer religiöser Selbstermächtigung und politischen Widerstandes. Und auch die in den sozialen Medien, z.B. unter #WitchTok und #witchesofinstagram, ließ sich in den letzten Jahren ein rasanter Zuwachs verzeichnen.
Die Zeiten scheinen den erneuten Bezug auf Hexen zu erfordern scheinen: Als persönliche Identifikation, politische Aussage, widerständige Figur und religiöse Praxis entfaltet sie offenbar immer wieder eine besondere Faszination und Kraft. Mehr als 40 Jahre nach Starhawk’s oben genanntem Buch schreibt Pam Grossman noch einmal: „Die Hexe erwacht.“.

NACHLESEN

Silvia Federici (2012), Caliban und die Hexe : Frauen, der Körper und die ursprüngliche Akkumulation, Wien.
Gisela Graichen (1986), Die neuen Hexen. Gespräche mit Hexen, Hamburg.
Pam Grossman (2019), Waking the Witch. Die Kraft der Neuen Weiblichkeit, Berlin, (Verweise hier S. 21 und 356).
Victoria Hegner (2019), Hexen der Großstadt. Urbanität und neureligiöse Praxis in Berlin, Bielefeld.
Walter Rummel und Rita Voltmer (2008), Hexen und Hexenverfolgung in der Frühen Neuzeit, Darmstadt.
Starhawk (1992), Der Hexenkult als Ur-Religion der Großen Göttin, Freiburg (engl. Orig. 1979).

Text: Marita Günther | Fotografie: Marita Günther

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