
„Ich hatte Angst, und sie hat mich mutig gemacht. Ich war klein, und sie machte mich groß. Ich war seltsam, und sie machte mich stark.“
Pam Grossman, Waking the Witch S. 358f.
Pam Grossmann beschreibt hier ihre persönliche Beziehung zur Figur der Hexe als bestärkende Kraft und widerständige Identifikationsfigur. Als solche kann die Hexe für jede*n individuell eine wichtige Rolle spielen.
Darüber hinaus war und ist sie auch ein politisches Symbol, in dem die Ambivalenz zwischen Unterdrückung und Macht von ‚Frauen/ Weiblichkeit‘ auf den Punkt zu kommen scheint. Feminismus und Hexen gehen daher durchaus zusammen: Die Hexe als mächtige Figur und Symbol für Widerständigkeit, Hexen* als eigenmächtig Magie wirkende Person – diese positiven Aneignungen haben neue Handlungsspielräume eröffnet. Damit einher geht aber auch die Auseinandersetzung mit Unterdrückung und Macht – und dieses Ungleichgewicht kann wirklich wütend machen, wie dieser Beitrag aufzeigen wird.
„ZITTERT, ZITTERT, DIE HEXEN SIND ZURÜCK!“
WAS AUS DIESEN WIEDERANEIGNUNGEN DER FIGUR DER HEXE SPRICHT: ZIEMLICH VIEL WUT
Die Hexe war in den Frauenbewegungen ab den 1970ern eine wichtige Figur der persönlichen wie politischen Selbstermächtigung: 1977 gingen Frauen in großen Demonstrationen auf die Straße und skandierten: „Zittert, zittert, die Hexen sind zurück!“ Ein zentrales Thema war dabei immer die körperliche Selbstbestimmung. Sie gingen mutig auf die Straße – und dürften ziemlich wütend gewesen sein. Und diese Selbstbestimmung ist bis heute keine Selbstverständlichkeit.
Weiblichkeit und Wut haben ein schwieriges Verhältnis: Frauen, die wütend sind, gelten als unangemessen laut, hysterisch oder überhaupt Spaßbremsen. Frauen in der Geschichte und weibliche mythologische Figuren, die Wut verhandeln, sind oftmals bedrohlich. Sie stören die Ordnung und werden bestraft. Ihre Geschichten handeln von Wut, und sie können auch heute noch ganz schön wütend machen. Bekannt ist beispielweise die Medusa der griechischen Mythologie – die Schlangen statt Haaren auf dem Kopf trägt! Ihr Blick bzw. Anblick versteinert und tötet, dazu reicht ihr abgeschlagenes Haupt. Ihre Geschichte beinhaltet in einigen literarischen Fassungen Gewalt an ihr, wofür sie auch noch durch die Göttin Athene bestraft wird. Ebenfalls aus der griechischen Mythologie bekannt ist die zauberkundige Medea, die ihre Kinder aus Wut, Verzweiflung und Rache tötet. Und dann ist da noch die widerspenstige und als gefährliche geltende Lilith der jüdischen Tradition.
Sexualität und Reproduktion waren und sind Gegenstand von Mythologie und Erzählungen, von gesellschaftlichen Machtstrukturen, Zugriffsrechten und identitätspolitischen Kämpfen. Körper, ihre Ausdrucksformen, ihr Erscheinen in der Öffentlichkeit – sie waren und sind umstritten. Da viele gesellschaftliche Konventionen versuchen dies zu regeln, sind sie auch immer wieder wichtiger Teil emanzipativer Ausdrucksformen und Widerstände.
Diese Geschichte lässt sich weit zurück verfolgen. Sexualität und Reproduktion spielten auch im Hexereidelikt der Frühen Neuzeit in dem Vorwurf der sogenannten Teufelsbuhlschaft eine zentrale Rolle. Die vermeintlich zügellose Sexualität beflügelte die Fantasien zahlreicher Zeitgenossen. Darunter sind auch die Angstfantasien von frühneuzeitlichen Autoren wie dem Inquisitor Heinrich Kramer, die er in seinem ebenso frauenfeindlichen wie vielgedruckten Hexenhammer (Malleus maleficarum) formulierte. Und auch die Themen Abtreibung und Geburt sind seit langem mit der Figur der Hexe verknüpft. Die Kontrolle über den reproduktionsfähigen Körper bleibt umstrittener Teil von Selbstbestimmung und Gleichberechtigung. Dabei wirft die Vehemenz des Kontrollbedürfnisses nicht nur in historischen, sondern auch in zeitgenössischen Kontexten Licht auf die Bedeutung des Rechts auf selbstbestimmte Körperlichkeit und Reproduktion sowie der offensichtlichen Furcht vor der nur mit Lust gelebten Sexualität.
Die aktuelle Hexe* ist eine eine selbstbestimmt handelnde, mit magischen Fähigkeiten ausgestattete und damit starke Figur. Deswegen ist sie eine Identifikationsfigur und ein Symbol von Macht. Mit ihr wird in der Populärkultur und im Feminismus die ihr zugeschriebene Sperrigkeit, Hässlichkeit und Gefährlichkeit durch magische Praktiken als Ausdruck von Wut, die sich in den Mut zur Handlung wandelt, umgedeutet. Die Figur einer jungen, sexy Hexe ist eher eine erotische Fantasie von harmlosen magischen Wesen. Es ist eine täuschende Fassade oder repräsentiert auch politische Standpunkte (Beitrag zum Bild der schönen Hexe an einem kunsthistorischen Beispiel). Dies sind patriarchale Erzählungen und Bilder, die aber ebenfalls selbstbestimmt gewendet werden können.


Gerade für junge Frauen ist die Hexe heute Lifestyle und Inspiration. Davon zeugen die mediale Präsenz auf #witchtok oder #witchesofinstagram. Aber auch als politisches Statement wurde die Hexe wieder entdeckt: In den letzten Jahren tauchte nicht selten der Tish Thawer zugeschriebene Spruch „We are the granddaughters of the witches you weren’t able to burn“ in der Öffentlichkeit und als politischer Protestspruch auf – besonders auch im Kontext der Trump-Ära in den USA.
Die Hexe als ein vielschichtiges und mit Magie verknüpftes Geschöpf wird kreativ genutzt, um Zuschreibungen von Weiblichkeit und Reproduktion in Frage zu stellen und Körper- und Sexualitäts-Ordnungen zu sprengen!
WUT, ABER AUCH GANZ VIEL MUT
In Zeiten, in denen wir sie brauchen, taucht die Figur der Hexe wieder auf, meint Pam Grossmann. In Zeiten der Verzweiflung und der gefühlten Hilflosigkeit kann es unterstützend sein, sich an Personen und Geschichten von Widerstand und Handlungsfähigkeit zu erinnern, zu orientieren – oder diese zu finden. Die Hexe ist dabei eine Figur der Inspiration, eine Identität und ein Vorbild, um zu handeln und das eigene Leben zu gestalten, auch wenn viele der Vorstellungen über die historischen Hexen wohl eher zeitgenössische Zuschreibungen und spätere Deutungen sind. Die mit den Anschuldigungen konfrontierten Personen haben das, was man ihnen unterstellte, wahrscheinlich in den seltensten Fällen geglaubt und praktiziert.
Der kanadische Podcast Missing Witches erzählt die Geschichten von Frauen und queeren Personen in Vergangenheit und Gegenwart, die sich als Hexen* verstehen, aber auch einfach die geschlechterstereotypen Normen sprengen, sich gegen Ungerechtigkeit und Herrschaft, Rassismen und Kolonialismus aufgelehnt haben oder sich jetzt dagegen engagieren. Und viele andere Projekte nutzen verstärkt digitale Medien, um über nicht bekannte, in Geschichtsbüchern selten auftauchende Biographien, Erfindungen und Ereignisse zu berichten.
Es sind Geschichten von Menschen, die sich für Gleichberechtigung und Freiheit eingesetzt haben, zu ihrer Zeit berühmt waren oder wichtige Erfindungen gemacht haben, die uns in diesen Zeiten Mut machen können. Menschen, die gerade jetzt für das Recht auf Selbstbestimmung kämpfen. Frauen, die kämpfen, um selbst entscheiden zu können, was sie tragen und wie sie ihre Körper leben können.

Erzählen wir uns mehr von diesen Geschichten!
Nachhören & Nachlesen:
Missing Witches Podcast
https://www.missingwitches.com/
Podcast von Pam Grossmann mit spannenden Interview-Partner*innen
Über Lilith und Feminismus: ein Blogbeitrag des Jüdischen Museums Frankfurt
Lilith: Von einer Dämonin zur Ikone der Frauenbewegung
Projekt „FrauenGeschichte“ des Bayerischen Rundfunks in der Mediathek und auf Instagram:
https://www.br.de/mediathek/rubriken/themenseite-frauengschichte-100
https://www.instagram.com/frauen_geschichte/?hl=de
Projekt Lost Sheroes des WDR
https://www1.wdr.de/radio/cosmo/podcast/lost-sheroes/lost-sheroes-uebersicht-100.html
Projekt HerStory
Webseite zu HerStory mit allen Links
tbc…
Bildnachweis oberstes Foto: aufgeschlagene Seite aus Witchcraft, Hg. Jessica Hundley, Pam Grossman, Köln 2021, S. 54f.