

‚MAGIE DER KRÄUTER‘ IN MARBURG
Ein Spaziergang durch die Stadt. Sich mit Zeit und Muße bewegen, inne halten. In diesem früh-herbstlichen Spätsommer können wir in Marburg nicht nur auf Grimm’schen Pfaden wandeln. Wir können uns auch vom Aufstieg zum Schloss auf bunt bemalten Bänken erholen, die sich Themen wie dem Traum oder der Entspannung widmen. Die gestalteten Bänke sind von Kräutern flankiert und widmen sich dem Traum, der Erholung, der Energie, der Liebe, der Sonne oder den Frauen – Themenbereiche, in denen Heilkräuter häufig thematisiert werden. Wir können uns hier mit Pflanzen vertraut machen, die für ihre heilende Wirkung bekannt waren und sind. Welche Wirkungen wurden und werden ihnen zugesprochen? Welche Zuschreibungen wandelten sich und welche kennen wir noch heute?


Die bunten Bänke entstanden im Rahmen des Themenjahres 2020 Andersartig. Hexen. Glaube. Verfolgung, organisiert vom Fachdienst Kultur der Universitätsstadt Marburg, mit dem inhaltlichen Schwerpunkt der Magie der Kräuter. Welche Magie ist den Kräutern inne?



KRÄUTER + HEXEN*?
Wir erfahren an diesen Bänken beispielsweise, dass nahe des Marburger Schlosses Nachtschattengewächse wachsen, die in sog. Flugsalben zum ‚Hexen*flug‘ (auch Nachtfahrt) anregen sollten. Populäre Vorstellungen vom nächtlichen Flug versuchte die Kirche bereits im frühen Mittelalter (erfolglos) zu unterbinden, so der Historiker Wolfgang Behringer. Die Vorstellungen über die Nachtfahrt mit verschiedenen Tieren, ebenso wie über Hexensabbat konkretisierten sich im 14. und 15. Jahrhundert. Darunter war auch die Idee der Flugsalbe. Zum Rezept gehörten hochgiftige, meist psychoaktive Pflanzen. Neben der ‚Traumbank‘ am Hexenturm wachsen in diesem Jahr daher Engelstrompete (Brugmansia), das Bilsenkraut – das auch ‚Hexenkraut‘ oder ‚Teufelsauge‘ genannt wurde – und Zaunwinde (Calystegia sepium). Letztere trug umgangssprachlich den vielsagenden Titel ‚Teufelsdarm‘, der von ihrer Verwendung und Einnahme eher abrät. ‚Hexenkraut‘ wurden jedoch noch weitere unterschiedliche Kräuter genannt, darunter auch das bis heute als heilsam geltende Johanniskraut (Hypericum perforatum).


RINGELBLUMEN + ERINNERUNG?
An vielen Stellen in der Marburger Innenstadt wuchsen und wachsen in diesem Sommer Ringelblumen. Ringelblumen (Calendula officinalis) werden auch Goldblume genannt. Ihre sonnengelben Blütenblätter sollen Zutat von Liebeszaubern gewesen sein und zu den bekannten Orakelspielen angeregt haben: „Sie liebt mich. Sie liebt mich nicht.“ Die Ringelblumen sollen im Themenjahr als heilsame Kräuter rund um die Beete der Magie der Kräuter wachsen, jedoch gleichzeitig auch an die Opfer der Hexenverfolgung im 16. und 17. Jahrhundert erinnern.
Hexen, Hexer und Zauberei werden häufig mit Kräutern und Kräuterkunde assoziiert. Manche Kräuter sind wohl aufgrund ihrer halluzinogenen Wirkung als Rezepte für Flugsalben aufgefasst worden, andere sollten gegen Hexerei schützen – wie es in dem alten Reim „Baldrian, Dost und Dill, kann die Hexe nicht, wie sie will“ heißt. Auch wenn nicht viele der wegen Hexereivorwürfen getöteten Personen tatsächlich mit Kräutern heilten, sind die Rezeptionsgeschichten und Zuschreibungen von Kräuterwissen, Hexerei, Heilung und religiösen Traditionen eng verwoben.


KRÄUTER + HEILUNG?
Pflanzen, die in der Nähe menschlicher Siedlungen wuchsen, wie Brennnessel oder Schafgarbe wurden (und werden) als Heilkräuter genutzt – bis die Mönchsmedizin, so berichtet uns das Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, neue Pflanzen einführte. Ihre Auswahl und Wirkung hätten auf den Schriften antiker Quellen beruht und seien schließlich in die Bauerngärten gelangt. Zu diesen Pflanzen zählen auch die uns bekannte Petersilie und der Salbei. Noch heute werden vielen dieser Kräuter nicht nur zum Würzen, sondern auch in der Kräuterheilkunde verwendet. Im August und September werden traditionell viele Kräuter gesammelt und getrocknet, da ihnen bestimmte Wirkung und Intensität zugesprochen wird – diese Zeit wird in katholisch geprägten Gegenden auch Frauendreißiger genannt.


GÄNSEBLÜMCHEN HÖREN
Während wir auf den Bänken sitzen, die Pflanzen beobachten und über ihre unterschiedlichen Zuschreibungen und Wirkungen nachdenken, können wir auch einigen Podcasts der Marburger Hörtheatrale lauschen. Diese sind thematisch mit den Bänken verknüpft und direkt per QR-Code abrufbar. Wir hören von Gänseblümchen, dem Zauberlehrling und dem Sandmann und verlieren uns dabei in den Details der Bilder. Kleine Oasen für alle Sinne, mitten in der Stadt.


Mehr zu den Heilpflanzenoasen finden Sie HIER.
Nachlesen:
Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens (1930/31), Hg. Hanns Bächtold-Stäubli, Berlin und Leipzig: „Heilkräuter“ (Bd. III, Sp. 1681).
Wolfgang Behringer (2015), Hexen. Glaube. Verfolgung. Vermarktung. insb. S. 20-21, 34-44, 40-41.
ANDERSARTIG. Magie der Kräuter (2020), Broschüre der Universitätsstadt Marburg.