ORTE DER HEXENVERFOLGUNG IN MR: SCHEPPE GEWISSEGASSE

WEGE + ORTE | DAMALS + HEUTE

Der Weg einer der Hexerei für schuldig befundenen Person führte über verschiedene Orte und endete an der Richtstätte am Rabenstein. Welchen Weg hatten diese Personen hinter sich? An welchen Orten mussten sie sich aufhalten und wo wurde über ihre Prozesse entschieden? Welche Geschichte(n) sieht man diesen Orten heute noch an?

ZWEI BLICKWINKEL | ZWEI BEITRAGSSERIEN

Wie der Weg der Rechtsprechung diese Personen dorthin führte, beschreiben zwei korrespondierende Beitrags-Serien im Blog ANDERS[nicht]ARTIG. Diese Serien zeigen den Weg aus zwei Blickwinkeln und zwei Richtungen: Wir folgen einerseits dem Weg einer historischen Person und suchen andererseits danach, was an diesen Orten heute noch auf die Vergangenheit verweist. In der ersten Serie über den VERLAUF EINES HEXENPROZESSES versuchen wir den Weg einer historischen Person nachzuzeichnen: Von der Beschuldigung, über den Prozess bis zu dessen Folgen. Diese Serie zeigt, was den der Hexerei angeklagten Personen damals passierte. In der zweiten Serie schauen wir genauer auf die ORTE DER HEXENVERFOLGUNG.

ZURÜCK GEHEN: ORTE DER HEXENVERFOLGUNG AUS HEUTIGER PERSPEKTIVE BETRACHTET

Wir zeigen in der Serie ORTE DER HEXENVERFOLGUNG, was heute noch vor Ort von der Geschichte zeugt. Wir schauen von der Gegenwart ausgehend zurück: An jedem Ort – von der Richtstätte am Rabenstein über die Scheppe Gewissegasse, die Weidenhäuser Brücke, das Gericht am Markt und im Rathaus, der Neuen Kanzlei bis hin zum Marburger Schloss und dem Hexenturm – suchen wir nach Geschichte und Geschichten. In dieser Serie begehen wir die Orte rückwärts.

DIE SCHEPPE GEWISSEGASSE

Geht man die Scheppe Gewissegasse hoch, legt man auf rund 250 Metern ca. 90 Höhenmeter zurück. Damit ist sie eine der steilsten Straßen der hessischen Universitätsstadt. Nach Friedrich Dickmann hat sich die Geschichte hier mit bedeutungsträchtigen Straßennamen zwischen Schlossberg und Richtsberg in die Stadt eingeschrieben: Die Scheppe Gewissegasse führt hinauf zum Richtsberg und durch ein kleines Waldstück zur ehemaligen Schwertrichtstätte Rabenstein. Zum Rabenstein führt noch heute auch der Gerichtsweg. Am direkten Zugang der Scheppe Gewissegasse zum Marburger Rabenstein liegt heute die Hansenhaus-Siedlung, ein kleiner Weg führt durch den Wald weiter bergauf.

SCHLECHTES GEWISSEN ODER SCHIEFER WEG?

Nach einem Bericht von Friedrich Dickmann seien viele Marburger*innen davon überzeugt, namensgebend für den Weg war das Gewissen der Verurteilten, das sie den steilen Hang hinauf zur Richtstätte tragen mussten. Die Benennung würde sich nach dieser Interpretation auf die hessische Bezeichnung für schlechtes Gewissen berufen. Nach Dickmann ist dies eine eingängige Vorstellung, es sei jedoch ein Irrtum. Noch Ende der 1950er Jahre findet er in einem alten Adressbuch für die heutige Scheppe Gewissegasse die Bezeichnung Schöffen-Gewissens-Gasse, die als Weg zur Richtstätte beschrieben wird. Schöffen (auch Schöppen) waren Teil der Rechtsprechung in den historischen Prozessen. Auch in Anklagefällen der Hexerei waren sie als wichtige Entscheidungsträger involviert.

Interessant daran ist, dass der Gasse je nach Zeit und Benennung eine unterschiedliche Beurteilung zukommt: Hier sind es nun die Schöffen, die ihr schlechtes Gewissen ob der Verurteilung mitschleppen und im Aufstieg prüfen müssen – nicht die Verurteilten. Die Schöffen mussten den steilen Weg zur Richtstätte mitgehen und hatten so Gelegenheit, über ihre Entscheidung mit Todesfolge nachzudenken.

In der zeitweisen Benennung der Gasse als Schöffen-Gewissens-Gasse sieht Dickmann jedoch eine weitere Versprachlichung des Irrtums. Er findet historische Quellen, welche von einer Scheibenwiesengasse schreiben: Einer hessisch betitelten Gasse, die an sehr steilen (hessisch: scheppen/schäbben) Wiesen entlang verläuft. Namensgebend wären in diesem Fall nicht die Verurteilten, die auch den nahe gelegenen Kaffweg und den Gerichtsweg hätten gehen können. Da ihr Gang von Publikum verfolgt wurde, liegt es nahe, dass der Ablauf feststand.

Doch auch hier ist man sich nicht sicher: Ist der Gang der Verurteilten und der Schöffen/Schöppen über die Scheppe Gewissegasse nun ein Marburger Mythos, eine Wortveränderung über die Jahrzehnte oder eine Umdeutung historischer Ereignisse?

Der Historiker Ronald Füssel hat sich anlässlich des Themenjahres 2020 erneut auf die Spurensuche begeben und kommt zu dem Schluss, dass der Weg der Verurteilten tatsächlich von dem Ort des Gerichts am Rathaus und am Marktplatz über die Weidenhäuser Brücke und durch Weidenhausen, hinauf zur Richtstätte Rabenstein über die Scheppe Gewissegasse geführt haben kann. Auch er sieht in der Gasse das Gewissen der Schöffen betitelt, die als Richter am peinlichen Halsgericht in Marburg Anteil an der Urteilsfindung hatten. Den Gang über den Kaffweg schließt er jedoch nicht aus. Auch ob auf der Richtstätte nicht nur die Enthauptungen stattfanden, sondern auch die Scheiterhaufen standen, ist noch nicht ganz klar: Die Marburger Geschichte der Hexenverfolgung wird weiter untersucht und geschrieben!

KENNEN SIE GESCHICHTEN ÜBER DIE SCHEPPE GEWISSEGASSE?

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Gemeinsam schreiben wir an der Geschichte der Marburger Orte der Hexenverfolgung mit! Wir freuen uns auf Ihre Geschichte(n) zur Scheppe Gewissegasse.

Nachlesen:

Ronald Füssel (2020), Gefoltert. Gestanden. Zu Marburg verbrannt. Die Marburger Hexenprozesse. Marburg, insb. S. 93-95.

Friedrich Dickmann (2010), Die „Scheppe Gewissegasse“, in: Studier mal Marburg. Das Magazin, 02/10, S. 6.

Nadja Schwarzwäller (2010), Wohnen im Bruderweg auch Schwestern?, Bericht der Oberhessischen Presse über Straßennamen in Marburg vom 24.11.2010.

Björn Wisker (2017), Das sind Marburg steilste Straßen, Bericht der Oberhessischen Presse vom 23.12.2017.

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