MELANCHOLIC MOONFACES: BLICKE IN DEN (NACHT-)HIMMEL MIT JOAN SCHAAF

DEM MOND BEI DER ARBEIT ZUSEHEN

Die Künstlerin Joan Schaaf hat eine enge Bindung zum Mond – und er wird auch mir im Gespräch viel näher. Wenn Joan von ihrem Arbeitsprozess erzählt, hört es sich nach einer kühlen Sommernacht an – obwohl wir beide in der Mittagshitze vor unseren Laptops in einer Videokonferenz sitzen.

Joan erzählt von ihrer Begeisterung für die Haptik und Oberfläche von Dingen – von Baumrinde über Stein bis hin zum Relief, dass in ihrer Arbeit mit Hochdruckverfahren entsteht. Die Berührung und die Materialität haben starken Einfluss auf sie – „ich begreife meine Umwelt am liebsten durch Berührungen“. Gleichzeitig nutzt sie das Medium des Linolschnitts, um die Zeichnungen über den Träger auf das zarte Papier zu transferieren. Aus der Erfahrung der Materialität über das Relief entsteht ein Prozess, von dem wir nur den Abdruck als Resultat sehen.

Joan berichtet, dass ihre Arbeit mit dem Linolschnitt eine meditative Tätigkeit ist: „Er erzeugt ein hübsches Relief, bei dem man jede Erhebung spüren kann. Das agiert faszinierend mit dem dünnen Maulbeerpapier, wenn die Zeichnung sich über den Prozess der Druckgrafik transformiert. Ich liebe diesen meditativen Arbeitsprozess, dieses repetitive Zerschneiden der Oberfläche.“ Jeder Arbeit widmet sie dabei zahlreiche konzentrierte Stunden der technischen Ausführung – die Ideen wachsen noch viel länger. Zu Beginn ihres Studiums hatte Joan häufig bei Mond- oder Kerzenschein gezeichnet und geschnitten. Sie kann sich darin verlieren, im Flow in über 10-Stunden-Schichten arbeiten. Dabei scheinen ihr Gedanken zu ihren Arbeiten und zu sich selbst auf, sie lässt diese kommen und gehen. So ist der Prozess auch eine Arbeit an sich selbst – „die Serie am Mond wächst durch mich und an mir“, sagt die Künstlerin.  

BILDER AUS WORTEN + METAPHERN

Ihre Motive entwickelt die Illustratorin nicht selten eng an sprachlichen Bildern. Daher sind ihre Arbeiten auch in dem Kartenset der Stabsstelle für Konfliktberatung & Prozessentwicklung der Philipps-Universität Marburg über körperbezogene Redewendungen vertreten, das nun in Beratungsgesprächen verwendet wird. Das Set zeigt, wie eng das körperliche Erleben von Emotionen mit der Versprachlichung und Metapher verknüpft ist: „Mit dem Kopf durch die Wand“ oder „Schmetterlinge im Bauch“. Genauso scheint mir auch Joans meditative Arbeitspraxis mit ihrer Motivwahl verwoben zu sein.

CF: „Wie entstehen die Verbindungen der unterschiedlichen Elemente, der Symbole aber auch der Gefühle, die Du in deinen Motiven kombinierst?“

JS: „Ich liebe es, Chimären zu erschaffen, Sachen zu kombinieren, Dinge, die mich faszinieren, zusammenzubringen. Manchmal mag ich Kitsch. Aber meistens mag ich es, ihn zu nutzen, um Neues daraus zu machen.“

Metaphern und Redensarten sind in den Bildern stets präsent, manche lassen sich fast lesen und entziffern: So reißt sich der eifrige Zauberlehrling sprichwörtlich ein Bein in seiner Ausbildung zum Magier aus und präsentiert es entschlossen – vielleicht ist das Ganze jedoch auch ein Zaubertrick? Die Nähe von Bild und Wort lädt dazu ein, Erzählungen über die Motive zu ersinnen und herauszufinden, in welche Schicksale die Figuren eingewoben sind.

BLICKE IN DEN (NACHT-)HIMMEL: WOVON SIND UNSERE GESCHICHTEN BEEINFLUSST?

 JS: „Ich habe eine Sternzeichenserie begonnen. Es gibt den Wassermann als Ausgangspunkt, da ich selbst Wassermann bin. Dabei bin ich zwiegespalten, was die Sternzeichen angeht – wenn das Radio mir morgens sagt, wie mein Tag wird. Gleichzeitig kann viel aus der genauen Sternenkonstellation zum Geburtszeitpunkt herausgelesen werden. Ich frage mich immer: Kann man daran glauben oder nicht?“ Joan und ich teilen unsere Zuordnung zum Sternzeichen des Wassermanns und ein ambivalent-fasziniertes Verhältnis zur Deutung der Gestirne. Ob nun von der Konstellation zu Geburtszeit und -ort oder durch die Auseinandersetzung mit morgendlichen Radiohoroskopen beeinflusst – im Gespräch stellten wir beide fest, dass Zuschreibungen ganz unwillkürlich auf und durch uns stattfinden. Wir greifen diese in unserem Selbst- und Weltbild auf oder grenzen uns bewusst davon ab.  

CF: „Beeinflussen der Mond, die Sternzeichen und Gestirne auch Deine künstlerische Arbeit?“

JS: „Die Vollmondzeit erfüllt mich. Das hat sich natürlich auch auf meine künstlerische Arbeit ausgewirkt. Ich finde die Mondkalender sinnvoll, aber richte meine Arbeit nicht nach den Mondphasen. Der Lauf des Mondes ist – gerade durch den Yoga – sehr wichtig für mich, da sich energetisch viel aus den Mondphasen lesen bzw. erklären lässt. Auf dem Mondzyklus beruht die Vorstellung einer Parallelität des Wachsens und Vergehens, was sich in vielen unserer Tagesformen, gerade was die Stimmung und den Körper angeht, wiederspiegelt. Das ist eher eine energetische Sache bei mir. Ich lade mich gefühlt auf, mit dem Mond und in den Bergen. Die Tätigkeiten sind mir nicht so wichtig. Das Genießen des Mondes reicht mir aus.“

CF: „Deine Arbeiten kreisen um Themenfelder von Märchen und mythischen Figuren, Magie und Tarot. Was bedeutet Dir das Thema Hexerei?“

JS: „Zu Beginn des Hexenjahres habe ich mir überlegt, mich mehr mit Kräutern auseinanderzusetzen. Ich habe viele Pilze gezeichnet, sie warten im Skizzenbuch auf ihre weitere Umsetzung. Meine Arbeiten kreisen nicht mit Absicht um das Thema Magie und Spiritualität. Das kommt einfach aus dem Arbeiten raus, weil ich mich selbst gerne mit Energie beschäftige.“

CF: „Wie äußert sich die Energie in Deinen Arbeiten?“

JS: „Ich habe das Gefühl, dass ich in manchen meiner Arbeiten – das sind dann auch die, die mir besonders am Herzen liegen – einen energetischen Knotenpunkt sammle. Das ist so bei der Alchemiearbeit der Moonfaces. Wenn ich sie ansehe, gibt sie mir ein Gefühl: Sie verortet mich in einem nachdenklich-entspannten Sein. Ich bin ein hibbeliges Arbeitstier – mache alles gleichzeitig. Dann suche ich mir Punkte mit denen ich runterkomme. Manchmal habe ich das Gefühl, meine Unruhe an die Arbeit abzugeben, hinein in den Linolschnitt. In der Arbeit wandle ich das um. Aus dem Gefühl kann ich Kreatives schaffen – da bündelt sich in den Arbeiten viel Gefühl.“

DIE GESICHTER DES MONDES

Joan entwickelte die Serie Melancholic Moonfaces in einer Annäherung an das Gesicht. Dessen Formen erschlossen sich ihr am menschlichen Gesicht nicht so leicht, wie an Formen der Natur. Der Mond wird für sie so zur Person, sie entwickelt seinen Charakter. Damit erzählt sie seine oder ihre Geschichte: die nächtlichen delikaten Abschweifungen im Spitzenkleid, eine bedachte alchimistische Arbeit am Nachthimmel oder die Kreatürlichkeit, versteckt im mikrokosmischen Rasen als riesenhaftes oder winziges Schneckenhaus. Die Serie folgt keiner zuvor geschrieben Geschichte oder einer linearen Erzählung: Sie entwickelte sich aus Stimmungen heraus. Nichtsdestoweniger erzählt die Serie über diese Stimmungen eine eigene Geschichte, bringt den Mond als immer neue Personen mit den bekannten Assoziationen und Zuschreibungen ins eigene Gedächtnis.

Geschichten vom Mann im Mond sind beispielsweise aus Peterchens Mondfahrt bekannt. Wenngleich diese Figur dort nicht ungefährlich erscheint, verbreitet das Märchenspiel dennoch eine verträumte Abendstimmung. Diese Geschichte erzählte Joan nicht – ich kenne sie aus meiner Kindheit. Mit Joan Schaafs Illustrationen fühle ich mich durch die Darstellungsweise an Märchen erinnert. Sie hat einige Kinderbücher illustriert. Dennoch gehen ihre Motive in der Serie Melancholic Moonfaces über Märchen hinaus, erzählen durch ihre Sequenzialität vielleicht eher die Geschichten unserer eignen Erinnerungen.  

Joan Schaaf arbeitet als Illustratorin und studiert den Master Bildende Kunst – Künstlerische Konzeptionen in Marburg. Sie hat Grafiken für Kinder- und Märchenbücher erstellt. Dass sie sich in ihrer künstlerischen Arbeit auch mal ohne Textvorgabe von aktuellem Geschehen, Naturansichten und vom Blick zum Mondhimmel inspirieren lassen kann, führte zur Serie Melancholic Moonfaces über die wir Anfang August 2020 sprachen. Joan Schaafs Arbeiten sind in der Online-Ausstellung des Instituts für Bildende Kunst der Philipps-Universität Marburg SOSO2020 und auf schaafslabyrinth zu sehen.

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